WANDEL-GEFÜHLE

Abgelaufen

Veränderungen rufen Emotionen hervor, besonders wenn diese Veränderungen ungewollt sind. Wie gelingt es uns, mit diesen Gefühlen, Wandel sinnvoll zu gestalten?

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„Nichts ist so beständig wie der Wandel“ erkannte schon der griechische Philosoph Heraklit von Ephesus, der vor gut 2500 Jahren lebte. Wir Menschen der Neuzeit erfahren diesen Wandel oft in wesentlich rasanterer Form, als dies noch im vorigen Jahrhundert der Fall gewesen ist. Manchmal scheint es, unsere Seele, unsere Psyche kommt da manchmal nicht mit, die Veränderungen überrollen uns, überfordern uns.

Mancher Wandel ist erwünscht. Wir sehnen ihn herbei. Wir führen ihn herbei. Ein alter Zustand ist uns zu eng, eine Beziehung zu schmerzhaft, eine Arbeitsstelle zu unbefriedigend, ein gesellschaftliches Prinzip ist für uns nicht mehr stimmig. So geschehen Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als der Unwille über das bestehende Regime in Ostdeutschland so groß wurde, dass die Angst vor Repressalien einer gesunden Wut wich. Der Wandel vollzog sich als historisch friedliche Wende. Die Veränderungen, die dieser Wende folgten, fegten jedoch wie ein Sturmwind auch durch unsere Lausitz. Vertrautes wich, das Neue war noch nicht da. Gefühle von Verunsicherung und Existenzangst, aber auch von Aufbruch und Neubeginn prägten eine ganze Generation.

Angst, Wut und Kraft

Jeder Wandel hat auch seine zerstörerische Seite, seinen Preis. Etwas Altes muss weichen, um dem Neuen Platz zu machen. Das gilt im Kleinen wie im Großen, bei der Veränderung einer schlechten Gewohnheit, wie bei einer Beziehung, als auch bei einem gesellschaftlichen Wandel, Klimawandel, Veränderungen unserer Landschaft durch Bergbau und Industrie, durch Abwanderung und Schließungen.

Oft ist das Neue noch nicht sichtbar, oder aber haben wir für dieses Neue noch kein Verhaltensmuster, keinen Plan.  Das macht Angst. Die Angst sagt uns: „Das ist furchtbar.“ [1]

Besonders groß sind Angst und Unsicherheit, wenn Veränderungen ungewollt und plötzlich in unser Leben einbrechen, so wie der Verlust eines vertrauten Menschen zum Beispiel, oder der Verlust von Heimat, der Verlust eines Arbeitsplatzes und so weiter.

Nehmen wir nur die Veränderung wahr, die uns die Corona-Pandemie gerade ungewollt auferlegt. Noch weiß keiner, was das für unsere Zukunft, für unsere Wirtschaft, für die Kunst, Kultur, für unsere Bildung, unser Miteinander überhaupt bedeutet.

Wir brauchen Mut, um dieser Angst zu begegnen. Ich möchte auch den etwas altmodisch daherkommenden Begriff der Tapferkeit nutzen. Tapferkeit bedeutet, dass wir sehr wohl in der Lage sind, Unbill auszuhalten, wenn wir einen Sinn darin sehen, eine Vision haben von dem Neuen, was da noch nicht sichtbar ist.

Vor allem brauchen wir Kreativität, um die Unsicherheit und Ängste zu überwinden, die unweigerlich mit dem Wandel einhergehen. Vivian Dittmar beschreibt das in ihrem Buch „Gefühle und Emotionen – eine Gebrauchsanleitung“ [2] sehr treffend: „Die Kraft der Angst ist die Kreativität.“

Einfallsreichtum, Fleiß und Abenteuerlust

Die Wende war nicht der erste große Wandel und wird auch nicht die letzte gravierende Veränderung in unserer Heimat sein. Ich möchte die Menschen hier an diese Kraft erinnern, die dem Wandel innewohnt. Auch in dem Unbekannten, dem Fremden und in den Fremden, die hierherkommen, liegen solche Wachstumschancen.

Als nach dem 2. Weltkrieg Hunderttausende Vertriebene durch die Lausitz kamen und viele von ihnen hier sesshaft wurden, waren auch sie nicht immer willkommen. Das Land lag in Trümmern. Keiner wusste, was die Zukunft bringen würde. „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, lasset uns dem Guten dienen – Deutschland einig Vaterland“ [3]– so dichtete Hanns Eisler in der Nationalhymne der DDR. Gerade wegen dieses für sie beunruhigenden Textes ließ das damalige Regime diese Hymne ab 1972 nur noch instrumental erklingen. Eines der ersten Zeichen ihres Absterbens vermutlich. Sie hatten Angst vor Veränderungen, vor der Zukunft. Zwanzig Jahre später waren sie Geschichte.

In vielen Familien finden sich Geschichten solcher Vertreibungen in der Lausitz und Niederschlesien. Vier Nationen haben in der wechselvollen Geschichte Kultur, Brauchtum, Infrastruktur, Landschaft, Dörfer und Städte geprägt. All diese Menschen haben die Region zum Erblühen gebracht, auch nach der Wende 1990 und schon hundert Jahre zuvor, als die Umwälzungen der Industrialisierung die Oberlausitz und Niederschlesien zu einer boomenden Region machten.

Der Strukturwandel, der uns jetzt gerade in der Region beschäftigt, durch den Kohleausstieg zum Beispiel, mutet in diesen Vergleichen geradezu zart an. Wir können uns diesem Wandel nicht entziehen. Doch wie ihn gestalten, wenn die Emotionen so hochkochen und uns eher die Verluste, denn die Chancen erkennen lassen?

Wut ist zum Beispiel so ein Gefühl. Ein Grummeln, ein finsterer Groll, ein unmerklicher Ärger bis hin zum hellen Zorn. In allen Schattierungen sagt uns das Gefühl der Wut: „Das ist falsch!“ [4] Als Psychotherapeutin heiße ich die Wut meistens willkommen. Denn gut reflektiert sagt uns die Wut genau, was mir gerade ganz und gar nicht in den Kram passt. Damit sorgt sie für Klarheit und gibt die Kraft, die Dinge so zu ändern, dass es für mich wieder stimmig ist.

Trauer und Hoffnung

Was aber nun, wenn ich die Dinge nicht ändern kann, sondern die Veränderung ungewollt und übermächtig daherkommt, ich ihr nicht ausweichen kann? Dann kann die Wut ihre Schattenseiten entfalten: entweder hin zu Groll und Verdruss, oder aber zu Zerstörung und Aggression, die dann aber meist die Falschen trifft. Bei ungewollten Veränderungen ist Wut als einziges Leitgefühl nicht ausreichend geeignet, sich dem Wandel zu stellen.

Das Gefühl der Trauer gehört dazu. Die Trauer sagt uns: „Das ist schade.“ [5]  Und mal ehrlich: ist es nicht wirklich schade, wenn unsere Innenstädte alle die schönen kleinen Läden verlieren, wenn eine gemütliche Dorfkneipe nach der anderen zumacht und kaum noch eine Busverbindung die verödeten Dörfer erreicht? Ist es nicht schade, wenn ein alter Baum einer Straße weichen soll? – Ja und manchmal ist es auch falsch. Deswegen brauchen wir unser Wutgefühl auch in unserer Trauer um das, was dann nicht mehr sein wird und jetzt schon nicht mehr ist.

Die Kraft der Trauer ist die Liebe. Wir trauern nur um das, zu dem wir eine positive Beziehung hatten. In unserer Trauer darf uns diese Liebe bewusst werden. Deshalb habe ich großes Verständnis für alle nostalgischen Menschen in unserem schönen Landstrich. Es ist wirklich schade um so vieles, was früher unsere Gemeinschaft und unsere Kultur, unsere Glaubenswelt und unser soziales Miteinander ausgemacht hat. Diese Zeit kommt nicht wieder. Das Digitale hat vieles Analoge verdrängt. Wir müssen akzeptieren, dass es ein Zurück nicht geben wird. Wir würden mit unserem Selbst gar nicht mehr in dieses Alte hineinpassen.  Doch wir können eine Zukunft gestalten, wo diese Qualitäten aufs Neue gelebt werden können.

Ich erlebe das häufig in dem großen ehrenamtlichen Engagement zum Beispiel, bei den vielen Kulturprojekten, die hier vielerorts ins Leben gerufen werden, die vielen Nachbarschaftsinitiativen und offenen Herzen. Im Unternehmergeist und bei vielen Aktionen, vor allem der jüngeren Generation, die sich dem Neuen wie selbstverständlich öffnet und doch unbelastet und voller Neugier an der gemeinsamen Geschichte unserer Euro-Region interessiert ist. Ein Brückenschlag, den wir auch in tschechischen und polnischen Regionen unser aller Heimat erfahren können. Es macht Mut, wenn diese Geschichte den Menschen wieder erfahrbar gemacht werden kann, im Gedanken der Wertschätzung für die Lebensleistungen der Menschen, die diese Region so zum Gedeihen gebracht haben, unabhängig von Glauben und Nationalität. Vieles gibt es noch zu entdecken, viele Schätze zu heben.

Freude

Damit komme ich zu einem vierten Gefühl, das Vivien Dittmar in ihrem genannten Buch benennt: der Freude. Die Freude hat sie dem Element Luft zugeordnet und die Freude sagt uns ganz schlicht: das ist schön. Klingt so einfach, nicht wahr? Und ist so wirkungsvoll. Denn Freude macht uns attraktiv und lebendig. Freude ist der beste und fruchtbringendste Motivator für alles Tun und Trachten. Die Kraft der Freude ist die Vitalität.

Wenn uns also die Freude so begehrenswert wie lebendig macht: Wo ist dein Zukunftsprojekt, das dein Herz mit Freude erfüllt? Was bringt dich zum Fliegen? Wie sieht deine freudige Variante von Zukunftsvision aus? Wie kannst du dich einbringen, damit mit dir unsere gesamte Region interessant, begehrenswert und anziehend wird?

Das ist bewusst gestalteter Wandel im Großen. Doch wie jede Reise beginnt auch diese mit einem ersten Schritt. Wie immer, wenn wir etwas verändern wollen, können wir nur bei uns selbst beginnen.

Mit allen guten Wünschen für allen Wandel, der uns auf unseren Lebenswegen geschieht!

Sylke Hörhold…

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… lebt und arbeitet in Sohland an der Spree, liebt neben ihrer Arbeit das Wandern, Singen und Schreiben spannender und heilsamer Geschichten.

Infos über sie sind unter www.sylke-hoerhold.de sowie www.lebenswege-sylke-hoerhold.de zu finden.

[1] (Dittmar, 2014)
[2] (Dittmar, 2014)
[3] (Eisler, 1949)
[4] (Dittmar, 2014)
[5] (Dittmar, 2014)

Veranstaltungstipp von Sylke Hörhold

Im Zeichen von Veränderung steht auch unser nächster ROMPC

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