… UND IN FINSTERWALDE SCHEINT DIE SONNE

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… UND IN FINSTERWALDE SCHEINT DIE SONNE

Es ist noch dunkel als Pauline und ich nach Finsterwalde aufbrechen. Vier Frauen sind unser Grund, aus dem 100km entfernten Görlitz nach Finsterwalde zu reisen, um die Finsterwalderinnen endlich persönlich kennenzulernen. Im Zuge unserer Recherchen zu engagierten Frauen in der Lausitz sind wir schnell auf sie gestoßen: Maria Goldberg, Stephanie Auras-Lehmann, Sandra Spletzer und Stefanie Richter werden heute nicht zum ersten Mal interviewt und sind quasi alte Medien-Häsinnen.

Unser Weg führt uns aus Görlitz in Richtung Norden, durch Wald und Heidelandschaft, vorbei an kleinen und großen Ortschaften, Kraftwerken und Tagebauseen und stimmt uns auf unser Thema ein. Wie schaffen es vier Frauen aus Finsterwalde, Menschen zu überzeugen in diese vom Strukturwandel gebeutelte Region zurückzukehren? Das Thema Rückkehr ist ihre Leidenschaft. Sie selbst sind aus Großstädten wieder in die Lausitz gezogen und haben schnell gemerkt: Es ist nicht nur eine Frage des Jobs, hier wieder leben zu können. Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Vier heute auch beruflich. Sie wollen viele Menschen in die Region locken: Zum Gucken, zum Austauschen, zum Dableiben… Wieso und wie machen sie das? Was ist ihr Geheimnis? Wir wollen wissen, was andere Unternehmerinnen, Rückkehrerinnen und Netzwerkerinnen von ihnen lernen können.

In Finsterwalde angekommen steht die Sonne mittlerweile hoch am Himmel und auch wir strahlen vor Vorfreude, sogar als wir uns zunächst in den verwinkelten Gässchen verirren. Wir staunen über den mittelalterlichen Charme des Zentrums und gelangen auch bald an unser Ziel – dem Büro der Willkommensagentur „Comeback Elbe-Elster“. Das Büro ist lichtdurchflutet und liebevoll eingerichtet. Die Arbeitsplätze können gleichzeitig als Coworking-Space gemietet werden. An einer Wand befindet sich ein kleiner Heimatladen mit Spreewaldgurken und Selbstgebasteltem. Wir werden herzlich begrüßt. Zu unserem bunten Haufen gesellt sich noch Tine Jurtz. Sie ist Fotografin aus Bad Muskau. Sie porträtiert auf ihrer Website starke Frauen aus der Lausitz und hat uns angeboten, ein paar schöne Fotos während unseres Treffens zu schießen. Es duftet nach Kaffee, der Tisch ist bunt gedeckt, wir fühlen uns auf Anhieb wohl und quatschen sofort drauf los.

VERNETZUNG, SICHTBARKEIT, ERREICHBARKEIT

Meine Frage, ob die Vernetzung engagierter Macher*innen in Finsterwalde wirklich so gut ist, wie wir überall gelesen haben, beantworten die Vier einstimmig und lachend mit einem Ja. Das Willkommensnetzwerk ist durchaus erfolgreich, für viele offene Stellen haben sich Rückkehrer*innen gefunden, so Stephanie Auras-Lehmann. Außerdem hat der Landkreis Elbe-Elster jetzt drei Coworking-Spaces, die IHK modernisiert sich, man kann gemeinsam etwas bewegen. Es gibt aber immer noch Luft nach oben. Zum Beispiel müsse noch mehr für die Einbindung der „Einheimischen“ getan werden, denen es teilweise aufstößt, dass nur Rückkehrer*innen besonders umschmeichelt werden. Hier muss das Ziel sein, alle mitzunehmen. Dies kann durch gute Sichtbarkeit und Erreichbarkeit erzielt werden. Deshalb experimentieren Sie zum Beispiel mit ihren Öffnungszeiten, haben einen Bücherschrank vor dem Laden, organisieren öffentliche Aktionen.

DIE MENSCHEN ERNST NEHMEN, IDEEN WEITERVERFOLGEN

Pauline und ich wollen von den Finsterwalderinnen wissen, was „Lausitz“ und „Strukturwandel“ für sie bedeuten. Sandra Spletzer sieht den Strukturwandel als Chance und ist überzeugt, dass die meisten Lausitzer*innen Gestaltungsbedarf und Ideen haben. Um diese zu nutzen, müsse jedoch mehr in sozialen Zusammenhalt und in Sozialstrukturen investiert werden. Somit kann der Region eine neue Identität gegeben und die Lausitz positiver auf der Deutschland-Karte verortet werden. Ihr Netzwerk trifft sich regelmäßig mit der Brandenburgischen Staatskanzlei und kann somit auch jenseits von Konferenzen, Bürgermeisterrunden und Kommissionen Wissen und Ideen weitergeben.

Stephanie Auras-Lehmann findet es essenziell, zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern und auch daraus Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Sie hat schon an vielen Bürgerbeteiligungsprozessen teilgenommen, hatte jedoch nie das Gefühl, sich wirklich einbringen zu können. Als Bewohnerin einer „Randregion“ fühle man sich bei großen, zentralen Konferenzen und Diskussionsforen in der Landeshauptstadt oft nicht wahrgenommen. Diese seien zudem männerdominiert und es kämen „immer die Gleichen“. Im Allgemeinen fühle es sich wirkungsvoller an, vor Ort und im kleinen Kreis Dinge zu bewegen. Auch dafür bedarf es aber einiger Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel der Ausbau der digitalen Infrastruktur. Auch sie ist überzeugt, dass die Bürger*innen der Lausitz unzählige gute Ideen haben, jedoch viele nicht wissen, wie sie diese umsetzen und wen sie diesbezüglich ansprechen können. Die Menschen haben große Lust, sich zu engagieren und trotzdem werden Beteiligungsprozesse kaum angenommen. Dies passt für sie nicht zusammen – hier müsse sich noch einiges tun. Maria Goldberg und Stefanie Richter pflichten ihr bei. Sie sehen das Problem darin, dass Prozesse zu lange dauern und die Gründe dafür nicht von außen erkennbar sind – die Nichtinformation sorge für Frust bei Außenstehenden.

„WIR BRAUCHEN JETZT JUNGE ENTSCHEIDER*INNEN!“

Der Strukturwandel betrifft natürlich nicht nur die Frauen, aber um in Unternehmen, Netzwerken, Organisationen etc. innovativer und moderner zu werden, ist Frauenkraft gefragt, so Stefanie Richter.

Stephanie Auras-Lehmann betont, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiterhin ein entscheidendes Hemmnis für politisches und zivilgesellschaftliches Engagement sein kann. Es bräuchte mehr alternative, regionale Kinderbetreuungsmöglichkeiten wie Babysitter*innen oder Leihomas/Leihopas für Randzeiten, besonders für Schichtarbeiter*Innen und Alleinerziehende, mehr regionale Weiterbildungsangebote und mehr unkomplizierte und niedrigschwellige Austauschmöglichkeiten zum Thema Work-Life-Balance.

Maria Goldberg bezeichnet sich als sehr gut vernetzt, redet gerne mit und mischt sich ein, jedoch merkt sie, dass sie von manchen Entscheider*innen nicht wahrgenommen wird. Auch Stefanie Richter berichtet, dass die männliche Dominanz in vielen Bereichen bereits aufweicht, aber dass Frauen sich in politischen Gremien jedoch oft durchbeißen müssen. Die vier Frauen stellen fest, dass gerade bei der älteren Unternehmer*innenschaft noch ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken herrscht, welches Vernetzung und Fortschritt hemmt. Jedoch stimmen alle der These zu, dass ein Generationswechsel bereits im Gange ist und in diesem Zuge auch eine Gleichberechtigung der Geschlechter einziehen wird. Von Wirtschaft und Politik, so Maria Goldberg, müsse signalisiert werden, dass junge Entscheider*innen jetzt gebraucht werden. Sonst, befürchtet sie, werden die ersten jungen Engagierten die Region bald wieder verlassen.

Einig sind sich die vier Finsterwalderinnen, dass Netzwerken allein nicht reicht. Netzwerken braucht gemeinsame Vorhaben und Maßnahmen, die man zusammen entwickelt, umsetzt und nachhaltig weiterverfolgt. Sie suchen und wünschen sich Austauschmöglichkeiten mit engagierten Frauen aus der ganzen Lausitz, wobei ihnen sehr wichtig ist, dass keine zusätzlichen Netzwerke entstehen, sondern dass bestehende Netzwerke zusammengebracht werden.

W WIE ENERGIE – WEIBLICHE ENERGIE IN DER LAUSITZ

Die Sonne hat sich bereits hinter dicken Wolken verkrochen, als Pauline und ich nach 3 Stunden wieder im Auto in Richtung Görlitz sitzen – aber ein inneres Strahlen begleitet uns. Wieder zieht die Tagebaulandschaft an uns vorbei. Wir lassen sie ziehen, unterhalten uns aufgewühlt und spinnen unendlich viele neue Pläne für „F wie Kraft“. Die Energie des Tages in Finsterwalde trägt uns. Wir sind fasziniert, was diese Region für eine weibliche Energie hat. Sie scheint ein durch Frauen aufgespürter Energiepark zu sein – ein Energiepark der Zukunft vielleicht? Ist es Zeit für einen neuen Claim?
W wie Weibliche Energie in der Lausitz – verbraucht sie nicht nur, sondern speichert sie!

Stephanie Auras-Lehmann

Stephanie Auras-Lehmann

…konnte nach ihrer Rückkehr nach Finsterwalde keine passende Anstellung finden, so kam ihr die Idee, die Willkommensagentur zu gründen. Sie ist begeisterte Netzwerkerin und kennt die halbe Lausitz. Viele gute Ideen und Vorhaben gibt es für die Lausitz, jedoch verbleiben diese oft in der Ideenphase und es kommt nicht zur praktischen Umsetzung. Außerdem setzt sie sich für mehr Bürger*innennähe von Vorhaben ein – sie möchte neben engagierten Rückkehrer*innen auch die „Bleibefrauen“ erreichen.

Stefanie Richter

Stefanie Richter

… ist Regionalmanagerin der IHK Cottbus in Elbe-Elster. Im Rahmen ihrer Arbeit hat sie gemerkt, dass unternehmerische Frauen starken Gegenwind erfahren. In politischen Gremien müssen Frauen sich stärker durchsetzen, am Verhandlungstisch mit Geschäftspartnern, Wirtschaftsförderern oder Kreditgebern erleben sie durchaus Zurückweisungen. Zur Unterstützung organisiert die IHK regelmäßig Netzwerkveranstaltungen für Unternehmerinnen. Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind neben Kniffen und Tricks eben jener „Durchsetzungszwang“, mit dem Frauen oft konfrontiert sind.

Sandra Spletzer

Sandra Spletzer

… arbeitet seit 2017 für Comeback Elbe-Elster und ist dort vor allem für das Brandenburger Netzwerk der Rückkehrerinitiativen Ankommen in Brandenburg zuständig. Das Netzwerk vereinigt Engagierte aus ganz Brandenburg – Wohnungsgesellschaften, Marketingvereine, freie Initiativen, Unternehmerverbände oder Wirtschaftsförderer. Gerade Frauen engagieren sich in diesen Organisationen aktiv für die Förderung von Rückkehr und Zuzug.

Maria Goldberg

Maria Goldberg

… hat sich als zurückgekehrte Selbstständige hier einsam gefühlt und deshalb ein eigenes Netzwerk, die Neopreneurs, gegründet. Sie ist immer noch erstaunt, wie viele Gründer*innen es in der Region gibt. Die Neopreneurs richten sich nicht explizit an Frauen. In der neuen Generation der jungen Gründer*innen begegnen ihr selten Geschlechtervorteile oder gar -diskriminierung. Als Herausforderung sieht sie zurzeit den Umgang mit Mitgliedern an, deren politische Positionen undemokratische Tendenzen zeigen. Das Thema beeinflusst sie in allen Lebensbereichen.

Fotos: Tine Jurtz

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