Seit dem Stammtisch der SAS zu und mit Frauen in der Lausitz am 3. Mai 2023 sind nun schon viele Wochen vergangen. Die Aufregung im Vorfeld wie im Nachgang ist verflogen und dies scheint der richtige Moment, um nochmal zurückzuschauen. Ich war nicht nur auf dem Podium involviert. Vier Wochen nach dem Stammtisch habe ich Franziska Stölzel angeschrieben.
Hier lest ihr unseren Mail-Austausch.
Julia: Wir haben uns ja im Vorfeld des Stammtisches schon ausgetauscht, wie wir die Umsetzung und Ankündigung des Revierstammtisches "Frauen in der Lausitz" bewerten. Zum Beispiel haben wir viel gerätselt, warum der Flyer das Frauensymbol mit einem L im Kreis ziert: Wer nicht nur an „L wie Lausitz“ denkt, sondern wie ich schnell "L wie LOSER" liest - die Geste des Daumen und Zeigefinger Ls vor der Stirn ist mir längst durch jugendliche Kinder in meinem Umfeld gezeigt worden – fühlt sich naja, unwohl. Mir wurde zwar gesagt, dass meine Interpretation ein bisschen "wild" sei. Hallooo! Ich bin wild! Hätten wir das nicht mitbestimmen sollen, wie der Flyer aussieht? Insbesondere, weil wir das Thema ja in die SAS getragen haben und mit den Lausitzbeauftragten bereits im Rahmen des Bündnisses Lausitzer Gleichstellungsbeauftragten zusammengekommen sind. Franzi, du warst im Vorfeld eingebunden: Wie kam es dazu?
Franzi: Ich habe mich letztes Jahr gezielt dazu entschlossen, die SAS darauf hinzuweisen, dass ihre Podien bei den Stammtischen aber auch ihre Sichtbarkeiten im Web und auf Social Media nicht divers sind. Daher habe ich nach einem Stammtisch im Herbst 2022 mit den Verantwortlichen über die fehlende Sichtbarkeit von Frauen und jungen Menschen – allgemein Diversität – gesprochen. Daraufhin waren wir in Kontakt zu einem Stammtisch in Weißwasser zum Thema „Frauen in der Lausitz“.
Julia: Was hast du befürchtet oder erwartet im Vorfeld?
Franzi: Ich habe mit der SAS bereits im Januar begonnen den Stammtisch zu planen. Während ich das komplette Format in Frage stellte und die Podiumsgäste nach dem Themenschwerpunkt junge Frauen aus der Lausitz ausrichtete, konnte die SAS sich damit wenig anfreunden. Ich war sicher, für junge Frauen brauchen wir etwas anderes: informativ, interaktiv, Augenhöhe. Das sehe ich nicht, wenn es nur ein Podium gibt. Einen wirklichen Nenner haben wir leider nicht gefunden, daher habe ich im Vorfeld die größten Bauchschmerzen gehabt. In der Ankündigung hieß es „Wie kann man den Wirtschaftsfaktor Frau optimieren“. Das war genau das Gegenteil von dem, was ich mir vorgestellt habe. Ich will nicht optimiert werden. Ich will so sein dürfen, wie ich bin, ernst genommen werden und sichtbar sein, Verantwortung übernehmen dürfen.
Julia: Oje, wie hast du dann das Podium wahrgenommen?
Franzi: Die Podiumsgäste waren Frauen in sehr hohen Positionen – davon nur zwei aus der Lausitz. Eine Lausitzer Lebenswirklichkeit von jungen engagierten Frauen mit durchschnittlichem Arbeitsalltag, Einkommen und dazugehörigen Lebensbedingungen war nicht gegeben.
Julia: Darf ich dich fragen, wie du zählst :)?
Neben Dorit Baumeister aus Hoyerswerda und Bauamtsleiterin in Weißwasser, Ines Briesowsky-Graf, Vizepräsidentin der Handwerkskammer und Unternehmerin aus Löbau, war ich ja auch aus der Lausitz da. Auch wenn ich nicht gebürtig von hier bin. Das stört mich schon lange, dass man qua Geburtssiegel zur Lausitzerin wird. Oder wie meinst du das? Dass die Staatssekretärin Barbara Meyer und die Chefin der Sächsischen Aufbaubank, Karin Leonhardt, gekommen sind, fand ich eher beeindruckend. Mich hatte anfangs irritiert, dass diese beiden Nicht-Lausitzerinnen auf der öffentlichen Ankündigung standen. Das wurde dann aber korrigiert, als die anderen Gästinnen feststanden. Zu spät für meinen Geschmack. Sehr ungünstig kommuniziert. Huch, jetzt habe ich glatt Jörg Mühlberg, Geschäftsführer der SAS, vergessen, den einzigen Mann in der Runde! Spricht auch Bände, oder?
Franzi: Ein pinkes Werbebild für den „Frauenstammtisch“ hat bereits im Vorfeld Klischees bedient und Schubladen gefüllt. Männer haben sich daher von dem Format nicht angesprochen gefühlt. „Es ist ein Frauenstammtisch“ habe ich oft gehört, weil die Werbung suggeriert hat: Ihr Männer seid nicht eigeladen. Das war fatal – gerade Männer brauchen wir für Gendergerechtigkeit, denn sie sind die, die Gremien besetzen und Entscheidungen fällen. Außerdem möchten wir den Männern zeigen, dass wir gemeinsam arbeiten und nicht ihnen etwas wegnehmen wollen.
© Sächsische Agentur für Strukturentwicklung GmbH
Julia: Und wie empfandest du die Stimmung in der TELUX?
Franzi: Angekommen in der TELUX habe ich mich gefreut, dass so viele Frauen aus unserem Netzwerk FwieKraft von weit hergekommen sind, um mit mir zu argumentieren, zu kämpfen und vor allem zu widersprechen. Das hat mich wirklich supportet.
Julia: Du hast auch das Podium inhaltlich mitgestaltet?
Franzi: Das Podiumsgespräch war nicht ansatzweise von den Fragen geleitet, die ich vorbereitet hatte. Es ging hauptsächlich um die weiblichen Podiumsgäste in hohen Positionen, wie sie diese erreicht und sich erkämpft haben. Es wurde langweilig für die Frauen im Saal, denn sie kannten die Floskeln. Der O-Ton: Junge Frauen müssen sich eben durchbeißen, den Respekt als Frau muss man sich verdienen, Männer(-Bünde) sind nicht zu stark - Frauen müssen sich nur stärker einbringen. Für viele im Saal klang das nach unter- und einordnen. Das hat uns alle wütend gemacht und so kippte die Stimmung und spaltete die Gruppen. In die der aktiven und jungen Engagierten und in die der Frauen mit Erfahrung im Business und dem dazugehörigen Biss.
Julia: Mit welchem Gefühl bist du rausgegangen?
Franzi: Auf der einen Seite war ich enttäuscht von der geringen Flexibilität der Veranstaltung. Sowohl von Seiten der Veranstaltenden als auch von den Gästen auf dem Podium und auch im Publikum. Einige Frauen haben so hart gekämpft, sich sichtbar gemacht, auf die Probleme aufmerksam gemacht und sich zu Wort gemeldet. Viele wurden kleingeredet und nicht ernst genommen. Das ist problematisch.
Andererseits haben wir zusammen gekämpft, wir waren eine Gemeinschaft – „die FwieKraft Netzwerker:innen“. Das hat mich dankbar, zufrieden und positiv gestimmt.
Die Diskussion hat gezeigt, dass wir innerhalb der Geschlechter auch enorme Generationsunterschiede überwinden müssen. Hier war ich sehr froh, dass der Raum geschaffen wurde, miteinander zu kommunizieren und dass jede*r offen sagen konnte, was eine*n bewegt.
Julia: Was wäre dir wichtig fürs nächste Mal?
Franzi: Es war die erste Veranstaltung außerhalb unserer „Aktivist:innen und Akademiker:innen Blase“. Das Thema auf den Tisch von Akteur:innen zu bekommen war schonmal ein erster Schritt.
Ich wünsche mir, dass nicht nur Frauen auf die Podien dürfen, die ihr Lebenswerk bereits erreicht haben und verteidigen können. Ich wollte für die jungen Frauen Raum frei machen, damit sie ihre Bedürfnisse schildern können. Junge Frauen und Mädchen, die unsere Zukunft sein werden, die, die noch nicht mal 20 Jahre jung sind.
Ich wünsche mir Akzeptanz für andere Lebenswirklichkeiten und Toleranz im Strukturwandel, diese als ebenso wertvoll und nützlich anzuerkennen. Mit nützlich meine ich vor allem, dass die Zukunftsvisionen junger Menschen sich verändert haben und Verdienst durch Leistung in den Hintergrund rückt. Wir sind nicht mehr bereit, alles für den Job hintenanzustellen. Ebenso: Überstunden, Care Arbeit und Engagement sind keine Selbstverständlichkeit, das ist Zusatz! Diese Themen anzuerkennen ist ein erster Schritt für nachhaltigen Wandel und Transformation.
Julia: Danke Franziska! Danke, dass du da bist und den Mut hast, dich öffentlich einzubringen und ein sooo wichtiges Vorbild für viele Mädchen zu sein!
Die nächste Gelegenheit Franziska zu hören ist in der Diskussion mit Franziska Schubert und Joachim Ragnitz am 21. September beim Muskauer Salon Talk: Frauen und Männer im Osten: Wer macht die Arbeit, wer kriegt die Anerkennung?Frauen und Männer im Osten: Wer macht die Arbeit, wer kriegt die Anerkennung?
JULIA GABLER...
... lehrt als Vertretungsprofessorin im Master-Studiengang Management Sozialen Wandels und forscht am TRAWOS-Institut der HSZG zur ländlichen Gesellschaft. Sie lebt in Görlitz und forscht u. a. zu den Verbleibchancen qualifizierter Frauen in Ostsachsen sowie zum Strukturwandel in der Lausitz. Als Mitbegründerin der Plattform F wie Kraft versucht sie, hier auf der Website, in Gremien und Wissenschaft die Sichtbarkeit von und Verantwortungsräume für Frauen und Geschlechtergerechtigkeit in der Lausitz zu stärken.
FRANZISKA STÖLZEL...
... ist Wissenschaftlerin für Wandel- und Transformationsprozesse. Obwohl es sie nach ihrem Studium zunächst nach Südamerika gezogen hat, war für sie immer klar, dass sie zurück in die Lausitz möchte. Aktuell lebt sie in Weißwasser. Sie ist in verschiedenen Projekten aktiv, wie bspw. dem Soziokulturellen Zentrum Telux. Nicht zu vergessen war sie maßgeblich daran beteiligt, den Lausitzerinnen Frauenstammtisch zu initiieren.