Ein Buch wie eine Exkursion

Abgelaufen

"Für Natur sorgen?" Dilemmata feministischer Positionierungen zwischen Sorge- und Herrschaftsverhältnissen 

 

Eine Rezension von Dr. Julia Gabler

 

Sabine Hofmeister (Universität Lüneburg) und Tanja Mölders (Universität Freiburg) haben einen Ergebnis- und Diskussionsband zu dem gemeinsam geleiteten Forschungsprojekt: „Caring for natures? Geschlechterperspektiven auf (Vor)Sorge im Umgang mit Natur/en – Dilemmata feministischer Positionierungen zwischen Sorge- und Herrschaftsverhältnissen“ herausgegeben. Der variantenreiche Titel ist Programm und verweist bereits auf die zu problematisierenden Mehrebenen und Pluralität(en) der Konzepte gesellschaftlicher Natur- und Geschlechterverhältnisse. 

Ich nahm das Buch zur Hand, um die Verbindung sozialwissenschaftlicher Fragen und Landschaftsgestaltung im Bereich Bergbaufolgelandschaften zu recherchieren. In den neuen Landschaften kommt es immer wieder zu Rutschungen. Rutschungen sind Massenbewegungen eines Schlammstroms, die durch ungünstige Befeuchtung, z.B. Grundwasseranstieg, ausgelöst werden und besonders im Bereich bergbausanierter Natur(nahe)räume vorkommen können. Dort entsteht eine neue Wildnis unberührbarer Natur, die nicht mehr betreten werden darf, weil sie zu riskant und lebensgefährlich ist. Hierin, so erfahre ich eindrücklich in den empirisch wie theoretisch begründeten Argumentationen, ist auch eine geschlechterspezifische Lesart verborgen. Natur, als kulturgeschichtlich weiblich konnotiert, ist gleichermaßen Zugriffsmuster auf Natur als Aneignungsraum für gesellschaftliche Ressourcengewinnung und Widerhall für Geschlechtszuschreibungen Natur/das Weibliche – Zivilisation/das Männliche als Objekt-Subjekt-Beziehung. Das Konzept der Sorge wie das der Natur ist (nicht nur) in der Geschlechterforschung „heikel“ und „brisant“ (S. 10). In der Zuspitzung auf die „Frau-und-Natur-Frage“ betreten die Forscherinnen „umstrittenes und umkämpftes Terrain“ (ebd. f.). Während seit über 30 Jahren aus feministischer Wissenschaftsperspektive gefordert wird, die sozial-ökologische Krise müsse auch als Krise der Geschlechterbeziehungen analysiert werden, findet die Berücksichtigung von Macht- und Herrschaftsfragen in der Sozialen Ökologie seltener statt. Für die analytische Verknüpfung kündigen die Herausgeberinnen in der Einleitung erwartbare „Uneindeutigkeit(en) und Unentschiedenheit(en)“ (S. 12) sowie Unbestimmtheit (S. 14) an, die zu Irritationen führen. Hier darf die Leserin gespannt sein, ob das Feld begrifflicher Unschärfen am Ende des Bandes klarer gezeichnet ist und es gelingt, den avisierten transformativen Wissenschaftsanspruch (S.10) umzusetzen.

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Der Sammelband in guter Gesellschaft: Für Natur sorgen? Dilemmata feministischer Positionierungen zwischen Sorge- und Herrschaftverhältnissen. Sabine Hofmeister und Tanja Möldners (Hrsg.). Hier mit einem Beitrag  von Inga Haese zur Care-Ökonomien im ländlichen Raum am Beispiel eines ostdeutschen Gemeinschaftsprojektes - erschienen in der sub/Urban.

Foto: Julia Gabler

Die Herausforderungen nehmen nicht ab, wenn sich die Autorinnen dem Forschungsgegenstand – dem Naturschutz als gesellschaftlicher Ausdruck der Sorge um Natur – zuwenden. Für mich als Leserin sind die zahlreichen Verweise und vielfältig eingeführten Begriffe, z.B. Naturschutz, Prozessschutz, Schutznatur, Schutzkonzept, erneut begriffliches Dickicht, das durchschritten werden muss, um den Ertrag für die Geschlechter/Sorge-Debatten ersichtlich zu machen. 

Der Band erscheint selbst wie die Wildnis, die er zu durchschreiten versucht. Als würde ich Teil einer Exkursion sein. Licht fällt ins Begriffsgestrüpp, wenn die „Prozess“-Kategorie ins Zentrum gerückt wird. Naturschutz als Untersuchungsgegenstand wird zur analytischen Leiter, um die eingeschriebenen gesellschaftlichen Normen und Praktiken im Status der Natur als Sorge- und schutzbedürftiges „Gegenüber“ zu re- und dekonstruieren: Von der statisch, objekthaften Natur bis zur dynamischen, veränderlichen und aktiven Natur im Prozessschutzkonzept, die, wenn man so will, Raum erhält, ihren eigenen Entwicklungspfaden zu folgen. Hier vermitteln sich mir augenblicklich die Verwicklungen zu den Machtverhältnissen in Geschlechterbeziehungen. Der Umgang mit Natur/en ist damit unverkennbar politisch; ihre Institutionalisierung demnach folgenreich. 

Das Eingangskapitel legt nahe, dass die „Irritationen“ oder besser Dimensionen von Care-Begrifflichkeiten und Praktiken (wissenschaftliche, lebensweltliche, institutionelle und politische Praxis) Zugang zu unterschiedlichen normativen Verwendungen, gesellschaftlichen Ein- und Ausschlüssen sowie sozialökologischen Anschlüssen ermöglichen könnten. Wie das gelingt und welche Pfade der Operationalisierung am empirischen Fall gelingen, zeigen die nachfolgenden Aufsätze. Sehr spannend und erhellend durchleuchtet Christine Katz den Stellenwert von „Funktionalität, Störung/Dynamik von Biodiversität“ (S. 69) in zahlreichen Fachartikeln der Ökologie zur Biodiversitätsforschung und analysiert die eingeschriebenen (geschlechtlich konnotierten) Ordnungen mit Blick auf Bewertungsmuster. Rationalisierungen und Zuweisung von Schutzbedürftigkeit ökologischer Komponenten, so zeigt der Aufsatz von Katz eindrücklich, obliegen selbst Zeitlichkeiten, Kontexten, Spezifizität und Normativität (S. 62) von Akteuren und Aktivitäten. 

Trotz der schwierigen Aufgabe der Operationalisierung von geschlechtertheoretischen Kategorien für die Untersuchung von Natur- und Geschlechterverhältnissen bietet das Care-Konzept Zugang zur Untersuchung eines multifaktoriellen Sozialverhältnisses. Tanja Mölders entwickelt in ihrem Aufsatz ‚Wildnis‘ als gesellschaftliches Raumverhältnis eine differenzierte, empirisch geleitete Interpretation, wie Naturschutz als gesellschaftliche Praktik, die sich auf das zukünftig Werdende (S. 214) konzentriert, gelingen kann. Sie zeigt wie im Naturschutz die Hierarchisierung von Naturen – der wilden, er gezähmten, der funktionalen – sowie die Naturalisierungen von Subjekten praktiziert wird. Mölders macht rationale Unterscheidungen sichtbar und unterstreicht deren Charakter als Entscheidungen, die wir – im Prozess – korrigieren, mindestens aber üerprüfen können.

 

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 Glossar der Fürsorge für Natur/en - Jan Lindenberg (Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde)

Foto: Julia Gabler

Insgesamt überzeugt der Herausgeberband und lädt ein, den Literaturverweisen nachzuspüren und das junge Feld feministischer Ansätze im sozialökologischen Bereich aufzuschließen. Auch wenn es sprachlich an manchen Stellen schwieriges Gelände ist, das man erstmal bereit sein muss zu durchqueren, gleicht der Sammelband inhaltlich wie formal auch einer Exkursion: anstrengend, erlebnisreich und auch gefährlich, abenteuerlich, spannend und erschöpfend. Am Ende weiß man, was man getan hat. Das Schöne ist: Die Leserin kann - und das habe ich empirisch erprobt - verschnaufen, das Buch hinlegen und voller Neugier an/in den Ort des Geschehens gehen und Naturen erkunden und wann immer sie wieder bei Kräften ist, die Lektüre fortsetzen. 

 Herausgeberinnen und Verlag...

... Sabine Hofmeister und Tanja Mölders, 2021, Verlag Barbara Budrich

Dr. Julia Gabler...

… ist Vertretungsprofessorin im Master Management des Sozialen Wandels an der Hochschule Zittau/Görlitz. Als Direktorin des TRAWOS Instituts beschäftigt sie sich unter anderem mit den Verbleibchancen qualifizierter Frauen in Ostsachsen sowie dem Strukturwandel in der Lausitz

 

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