„Früher haben wir gefragt ob wir mitmachen dürfen – jetzt machen wir es einfach selbst!“

Abgelaufen

Franzi Stölzel resümiert ihre Erlebnisse auf der 2. StrukturWANDELkonferenz am 2. Oktober 2024 in Weißwasser 

Am 2. Oktober stehe ich morgens um halb 10 vor der Hafenstube Telux. Draußen ist es ruhig, drinnen höre ich schon – es wird gewerkelt. Die Tage davor hat mich bereits ein Spirit für dieses Event begleitet. Was ich nicht wusste, am Ende dieses Tages wird sich dieser Spirit verdoppeln, in einen Teil der Dankbarkeit und einen Teil des Kampfes.

Insgesamt folgten ca. 130 Gäste der Einladung des Bündnisses der Gleichstellungsbeauftragten der Lausitz, nach Weißwasser in die Hafenstube zu kommen, um gemeinsam über die Dringlichkeit der Diversität und Gleichstellung während des Strukturwandels zu sprechen. Darüber hinaus diente der Tag der Vernetzung und immer schwieriger werdenden Arbeit im Zuge politischer Radikalisierung und erstarkender rechtsextremer Kräfte in unseren Parlamenten wie Stadträten, Kreis- und Landtagen. Auf der einen Seite war es dem Bündnis wichtig zu zeigen, was Gleichstellung für uns bedeuten würde, nämlich, dass sich dieser Strukturwandelprozess unterschiedlich auf Geschlechter auswirkt und daher auch unterschiedliche Organisationsstufen haben sollte. Aber auch, wie schwer es ist, dafür Gehör zu finden und wie wichtig die Sichtweisen der Frauen für eine wirtschaftsstarke, sozial gerechte und nachhaltige Lausitz sind.

Der Tag begann mittags mit einem lockeren Einstieg. Das Buffet lag auf dem Weg zwischen Anmeldung und Konferenzsaal. Alle Teilnehmenden konnten die Veranstaltung so mit einem Schwätzchen und sehr gutem Essen beginnen. Mit musikalischer Untermalung der Band von Lisa Temesvari-Alamer vom Bündnis Gleichstellung Lausitz, konnte man sich in die Tagung eingrooven. Als neues Element für fast alle Teilnehmenden begann der arbeitsreiche Teil mit einem Council.

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Dabei sitzen alle Teilnehmenden in einer Art Kreis. Es fällt einem leicht, die anderen anzuschauen, während sie sprechen und debattieren. Das Council bestand aus drei Themenblöcken:

1. Die Zahlen und Fakten von Frauen in der Lausitz. Viele von uns wissen, welchen Problemen und Barrieren wir uns zu stellen haben – die Verschriftlichung dieser, sollte jedoch auch andere „nicht Betroffene“ davon überzeugen, Gleichstellung allgemein, aber vor allem im Strukturwandel auf die Prioritätenliste zu setzen.

2. Die Gleichstellungsbeauftragten erzählten von ihrer Arbeit und der Notwendigkeit, sich zusammen zu schließen. Was mich begeistert hat war die folgende Aussage: „Früher haben wir gefragt ob wir mitmachen dürfen – jetzt machen wir es einfach selbst!“. Hier bemerke ich zum ersten Mal: Wo sind eigentlich die ganzen Entscheider der Lausitz? An wen adressieren wir diese Notwendigkeit?

3. Die Studie des BBSR: [Link folgt - Eine Vorabversion als PDF kann formlos bestellt werden bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.]

Das Schöne am Council war, dass viele Personen zu Wort gekommen sind. Auch wenn es in diesem Moment keinen Austausch geben konnte, da alle nacheinander gesprochen haben, legte es den Grundstein für Diskussion und Austausch in den Pausen und folgenden Panels. Außerdem wurde gleich ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt, es wurde schnell klar: Wir sitzen hier alle im selben Boot und wir alle sind dafür verantwortlich, was wir zulassen und weitertragen!

Nach einer Pause und einem ersten tieferen Austausch unter den Teilnehmenden wurde auch von dem/der Ein:en oder Anderen nochmal das Panel gewechselt. Es standen insgesamt 8 Themen zur Auswahl:

  • Panel 1: Gleichstellung: Alltagsrelevant und unverzichtbar - Erfolgreicher Strukturwandel geht nicht ohne! Was hat Gleichstellung eigentlich mit mir zu tun? Die Bundesstiftung Gleichstellung spiegelte mit den Teilnehmenden die Möglichkeiten und Ideen des eigenen Handelns auf das Thema und gab Einblicke, wie ein geschlechtergerechter Umgang für alle möglich werden kann.
  • Panel 2: Mehr als nur ein Arbeitsplatz! Wie funktioniert Gleichstellung ganz praktisch in einem Unternehmen? Die Hochschule Zittau/Görlitz mit dem Projekt Life & Technology sowie die Projektleitung des Deutschen Zentrums für Astrophysik gaben klare Beispiele wie Gleichstellung im Arbeitskontext funktioniert und warum das für eine moderne Arbeitswelt und wirtschaftliche Funktionalität vorteilhaft ist.
  • Panel 3: Europa als Motor! Wie kommen wir in die europäische Vernetzung? Via Zoom-Call mit der Heinrich Böll Stiftung Warschau wurden Initiativen und deren Erfolge der letzten Jahre vorgetragen.
  • Panel 4: Wissenschaft meets Praxis im geschlechtergerechten Strukturwandel – Wie hilft Wissen wirklich weiter? Die bereits erwähnte Studie des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung enthält Daten, die zeigen in welcher Notwendigkeit sich die Lausitz befindet, endlich nachhaltig Gleichstellung zu betreiben.Viele Verwaltungen nutzen solche Studien, um Projekte vorzubereiten, in Politik und Öffentlichkeit kommen diese Informationen zu selten an.
  • Panel 5: Frauen sind strukturrelevant – und weiche Standortfaktoren auch! Das Projekt des DGB in den Strukturwandelregionen namens „Revierwende“ ist meiner persönlichen Meinung nach ein Vorzeigeprozess, da es erstens, alle Kohleaussteig-betroffenen Regionen in Deutschland gleichzeitig begutachtet, zweitens, den direkten Draht in die Arbeitnehmer:innenschaft der Energiekonzerne nutzt und drittens, ein Hauptaugenmerk das Thema Gleichstellung ist. Durch die ganzheitliche Betrachtung konntnen die Projektmitarbeiter:innen einen tiefen Einblick in die Arbeit und das Leben der direkt Betroffenen geben sowie eine Lanze für die Leistung von Frauen brechen.
  • Panel 6: Weichenstellung für eine geschlechtergerechte Gestaltung des Strukturwandels - Impulse für den Transformationsprozess in der Lausitz Das SMJusDEG – Sächsisches Ministerium für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung unterstützt einige Projekte in der Lausitz und darüber hinaus, die sich mit sozialer und kultureller Arbeit vor allem für Mädchen und Frauen in Transformationsregionen beschäftigen. In dem Panel berichteten sie von den Möglichkeiten aber auch Hindernissen dieser Arbeit und wie wir diese Hindernisse überwinden können, z.B. indem man junge Menschen direkt beteiligt und so auch demokratische Prozesse in ihnen nachhaltig stärkt.
  • Panel 7: Gleichstellung ist auch ein Generationsthema! Was machen wir mit den Generationskonflikten in der Lausitz? Ich habe es leider nicht geschafft, dort vorbeizuschauen. Mir wurde aber berichtet, dass kontrovers, aber wohlwollend darüber diskutiert wurde, „was Frauen brauchen“, um gleichberechtigt zu sein. Weiter so!
  • Panel 8: FEEL FREE!! Mitgebrachte Themen der Teilnehmenden An diesem Tisch konnte ich meine erste Sicht auf den Tag darlegen. Überraschung: Ich war damit nicht allein. Ich war dankbar und stolz, dass wir eine großartige Veranstaltung haben, bei der so viele Menschen zusammengekommen sind. Gleichzeitig hat es mich wütend gemacht, dass so viele Männer, die beteuern, wie wichtig unsere Arbeit ist, nicht anwesend waren. Das hat mich enttäuscht. Wir fragten uns also: Wie werden wir mehr Menschen zeigen können, dass solche Veranstaltungen auch für sie einen Mehrwert haben, sodass auch sie unbedingt dabei sein wollen? Und fasst das alles nicht grundsätzlich das zusammen, womit wir jeden Tag strugglen?

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Nach der Kaffee-Pause wurden die Ergebnisse der Panels vor allen kurz vorgestellt und die Ergebnisse präsentiert – „Eine ziemlich lange Liste an Themen, die wir noch zu bearbeiten haben. Aber auch ein Neubeginn, diese Themen auf den Tisch gebracht zu haben“, dachte ich.

Der krönende Abschluss? Eine Runde mit den Radikalen Töchtern – Mutmacher:innen die in der Lausitz Workshops anbieten, in denen diese Ohnmacht, die ich so oft fühle, in Mut und Tatendrang übersetzt wird. Das war zum Schluss genau das Richtige, um mit einem guten Gefühl aus der Veranstaltung zu gehen. Aufgestellt in zwei Kreisen, sodass die Teilnehmenden des inneren Kreises mit einer Person aus dem äußeren Kreis sprechen konnten, wurden Fragen gestellt, die wir uns gegenseitig beantworten mussten: z.B.

  • Welche Ideen geben dir Kraft?
  • Nenne mir drei wichtige Dinge über deine Heimat!
  • Wie merkst du, dass du wütend bist?

Das zeigte Unterschiede und Gegensätze auf, machte aber klar, wie wichtig und schön es ist, dass wir trotzdem und gerade deshalb alle gemeinsam diesen Tag miteinander verbringen. Das war ehrliches Commitment von allen Seiten. Das war auch die Kraft, die ich brauchte, um trotz all der Zweifel positiv aus dem offiziellen Teil dieser Veranstaltung zu gehen.

Für mich war nach diesem Tag klar, dass wir schon viel über das Thema Gleichstellung wissen. Daher sind auch viele nach Weißwasser gekommen und haben sich diesem Thema angenommen, für sich persönlich, für die Arbeit, die sie leisten und für die Veränderung, die sie hervorbringen wollen. Trotzdem brauchen wir viel mehr Aufmerksamkeit, vor allem auch in den Entscheider:innengremien und den umsetzenden Positionen. Dabei schließe ich Männer nicht von vornherein aus und Frauen nicht automatisch ein. Und dafür brauchen wir eben auch Verständnis und Support von Allen: Wir müssen zusammenarbeiten, kommunizieren und aushalten sowie Kompromisse eingehen.

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Und damit zurück zum Anfang. Es gibt für mich sehr viele Vorbilder an Frauen und Männern, die sich in ihrer Arbeit und oft darüber hinaus für Gleichstellung, Diversität und Inklusion einsetzen. Das hat mich inspiriert und wieder enorm begeistert und beflügelt. Es ist mir wieder bewusst geworden, wie viel wir schon geschafft haben und welche Kräfte wir entwickeln können, wenn wir zusammenarbeiten. Umso mehr ist mir wieder bewusst geworden, wie viel Arbeitvor uns liegt. Es sind genau diese Strukturen, welche an dieser Konferenz (noch) nicht beteiligt waren, die es aufzubrechen gilt.

Der zweite Teil des Spirits ist daher für mich die Arbeit, in der ich denen, die es nicht mehr hören können, ein weiteres Mal sagen werde, was sie nicht hören wollen. Ich werde mich unbeliebt machen müssen. Ich werde auf rhetorische Fragen plausible Antworten geben. Ich werde meine Freund:innen aufbauen und sie werden mich aufbauen müssen, weil mal wieder das Gefühl der Ohnmacht überwiegt. Aber wir werden auch Tage haben, wie den 2. Oktober 2024, an dem wir gemeinsam auf Initiative von einigen Wenigen etwas Wunderbares geschafft haben. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

Franziska Stölzel...

... ist Wissenschaftlerin für Wandel- und Transformationsprozesse. Obwohl es sie nach ihrem Studium zunächst nach Südamerika gezogen hat, war für sie immer klar, dass sie zurück in die Lausitz möchte. Aktuell lebt sie in Weißwasser. Sie ist in verschiedensten Projekten aktiv und unterstützt die Initiative F wie Kraft seit vielen Jahren.

Die Fotos...

... wurden von Henriette Braun aufgenommen.

Die ausführliche Dokumentation der Konferenz...

... die von zahlreichen engagierten Kooperationspartner*innen in gemeinschaftlicher Arbeit organisiert wurde, ist in unserer Rubrik "Forschung" zu finden.

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