Ergebnisse von Interviews mit Frauen aus dem „F wie Kraft“-Netzwerk
Ein Beitrag von Paula Walk, Johannes Probst, Marius Koepchen und Nora Stognief
Im Jahr 2022 haben wir zahlreiche Interviews und Hintergrundgespräche mit Frauen in der Lausitz geführt und spannende Menschen und Perspektiven in der Lausitz kennenlernen dürfen. Wir interessieren uns als Forschende für die Rolle von Geschlechtergerechtigkeit im Strukturwandel. Bald stießen wir auf das Netzwerk F wie Kraft, welches uns durch die Vernetzungsarbeit eine große Hilfe war und somit Teil unserer Forschung wurde. Wir haben lokales Wissen zusammengetragen, unterschiedliche Perspektiven gesammelt und vor dem Hintergrund anderer wissenschaftlicher Arbeit aufgeschrieben. Uns ist es ein Anliegen, dieses Wissen sichtbar zu machen und nicht nach kurzem Forschungsaufenthalt wieder zu verschwinden. Daher folgt hier nun ein Einblick in unsere Ergebnisse, die kürzlich in einem englischsprachigen Fachartikel (https://link.springer.com/article/10.1007/s00550-024-00537-x) erschienen sind. Wir danken allen beteiligten Interviewpartner*innen und Netzwerker*innen, die dieses international einzigartige Netzwerk ermöglichen und am Leben erhalten. Wie wir im Folgenden beschreiben, ist gerade diese Arbeit von sehr großer Bedeutung für einen gelingenden Wandel. Unsere Ergebnisse sind das Resultat aus der Analyse von politischen Dokumenten und 16 Interviews mit Personen, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Strukturwandel der Lausitz und der Rolle von Frauen darin befassen und/oder im Care-Sektor arbeiten.
Im Laufe der Interviews wurde deutlich, dass soziale Infrastruktur eine zentrale Säule für einen erfolgreichen Strukturwandel ist. In der Strukturwandeldebatte findet sie jedoch bislang zu wenig Aufmerksamkeit. Bei Infrastruktur denken viele zunächst an physische Infrastruktur, wie Gebäude und Straßen, was jedoch zu kurz greift. Das Wort „Infrastruktur“ ist von der lateinischen Vorsilbe infra ("unter") abgeleitet und kann wörtlich als „unterliegende Struktur“ übersetzt werden, die das soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Leben ermöglicht. Dazu gehört also auch soziale Infrastruktur: das Netzwerk von Räumen, Institutionen und Gruppen, die soziale Verbindungen schaffen und somit das soziale Leben überhaupt möglich machen. Im Zuge der Interviews hat sich immer mehr herausgestellt, dass es beständiger Sorgearbeit bedarf, um diese soziale Infrastruktur dauerhaft aufrecht zu erhalten. Sorgearbeit für die soziale Gemeinschaft ist für den Strukturwandel essenziell, erhält in diesem jedoch noch nicht die entsprechende Priorität. Sorgearbeit wird immer noch vor allem von Frauen ausgeführt, zu wenig gesellschaftlich anerkannt und kaum oder gar nicht entlohnt. Auf Basis der Interviews haben wir für den Strukturwandel in der Lausitz besonders relevante Arten von Sorgearbeit herausgearbeitet, derer es bedarf, um soziale Infrastrukturen zu schaffen: Sorgearbeit für die sozialen und ökologischen Folgen der Kohleproduktion, Sorgearbeit für den sozialen Zusammenhalt, Sorgearbeit als Teil der Daseinsfürsorge und Sorgearbeit innerhalb demokratischer Strukturen. Im Folgenden gehen wir genauer auf diese Arten von Sorgearbeit ein.
Der Kohlebergbau in der Lausitz hat sowohl tiefe Wunden im sozialen Gefüge als auch ökologische Wunden in der Landschaft hinterlassen. 137 Dörfer wurden für den Kohleabbau in der Lausitz ganz oder teilweise zerstört. Tausende Menschen mussten umgesiedelt werden.[1] Menschen haben ihre Heimat verloren und die sorbisch/wendische Kultur und Sprache haben darunter massiv gelitten. Gleichzeitig gibt es schon seit Jahrzehnten Konflikte in der Bevölkerung darüber, ob diese Abbaggerung für die Kohleverstromung nötig ist. Diese Konfliktlinie zog und zieht sich immer noch durch viele Familien und Gemeinschaften. Auch mit den ökologischen Folgen (z.B. einem geschädigten Wasserhaushalt) wird die Lausitz noch über viele Jahrzehnte leben müssen. Gleichzeitig hat die Bergbaukultur zum sozialen Zusammenhalt, zum Wohlstand und zur Identität der Region beigetragen. Einige unserer Interviewpartner*innen betonen, dass es wünschenswert wäre, diese Bergbaukultur zu erhalten, auch wenn der Bergbau Geschichte ist. Sowohl um die Konflikte aus der Vergangenheit zu bearbeiten als auch um die Bergbaukultur in eine post-fossile Ära zu überführen, bedarf es der Sorgearbeit für das „Miteinander“. Gleichzeitig braucht auch die Landschaft weiter andauernde, dauerhafte Sorgearbeit, um den ökologischen Schäden zu begegnen. So wird beispielsweise im entstehenden Restsee am Tagebau Nochten nach Angaben der LEAG noch bis nach dem Jahr 2150 eine chemische Nachsorge des Wassers nötig sein.[2]
Eng damit verbunden ist die Sorgearbeit für den sozialen Zusammenhalt. Der soziale Zusammenhalt ist nicht nur durch die konfliktträchtige Geschichte um den Kohleausstieg belastet, sondern auch beispielsweise durch die hohen Zustimmungswerte für rechtspopulistische Parteien und damit einhergehende Polarisierung. Außerdem sind viele kleinere Gemeinden von Abwanderung betroffen. Diese zeigt sich oft konkret in der Schließung von Treffpunkten wie Dorfläden, die für die Dorfgemeinschaft essenziell sind. Des Weiteren ist es für kleinere Gemeinden mit wenigen Mitarbeiter*innen in der Verwaltung schwieriger, Strukturwandelgelder zu beantragen und Projekte durchzuführen. Unsere Interviewpartner*innen betonten, wie wichtig es ist, dass es Orte gibt, an denen sich Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlicher politischer Gesinnung treffen und austauschen können. Dafür wird nicht nur ein geeigneter Ort benötigt (wie z.B. ein Gemeindehaus), sondern auch Menschen, die dort mit ihrer Sorgearbeit Gemeinschaft und Geselligkeit herstellen. Es gibt viele solcher tollen, gemeinschaftsstiftenden Aktivitäten in der Lausitz. Häufig werden sie von Frauen getragen, die dies ehrenamtlich stemmen. Auch das Netzwerk F wie Kraft erleben viele der Frauen als Ort, wo viel gemeinschaftsstiftende und empowernde Sorgearbeit füreinander und für die Region stattfindet. Diese wichtige Arbeit für das „Miteinander“ braucht mehr Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bezahlung.
Die interviewten Frauen betonten außerdem, dass die bezahlte Sorgearbeit als Teil der Daseinsfürsorge in der Strukturwandeldebatte und -förderlandschaft zu wenig Beachtung bekommt. Beispiele dafür sind der medizinische Bereich, die Pflege und die Bildung. Es liegt ein großer Schwerpunkt darauf, die wegfallenden Arbeitsplätze in der Kohleindustrie durch andere männlich dominierte Industriearbeitsplätze zu ersetzen. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung im Bereich der bezahlten Sorgearbeit, in dem vor allem Frauen arbeiten, müssen verbessert werden. Unter anderem auch deswegen, weil die prognostizierte Nachfrage nach Fachkräften im Bereich der bezahlten Sorgearbeit in der Lausitz sehr hoch ist.[3] Hinzu kommt, dass viele junge, gut ausgebildete Frauen die Region verlassen. Um die Region attraktiver zu machen, braucht es ein vielfältiges Angebot an interessanten Arbeitsplätzen und Entwicklungspotentialen für Menschen mit unterschiedlichen beruflichen Interessen.
Wie Sorgearbeit organisiert und politisch priorisiert wird, ist Teil des demokratischen Prozesses. Wie wir Sorgearbeit in unserer Gesellschaft behandeln, ist eine politische Aushandlung. Demokratische Orte, an denen diese Entscheidungen getroffen werden, wie Gemeinderäte und Kreistage, müssen gestärkt werden. Sie müssen allen gesellschaftlichen Gruppen leichter zugänglich gemacht werden. Frauen sind dort massiv unterrepräsentiert, was an der schwierigen Vereinbarkeit der meist unbezahlten Gremienarbeit mit Lohnarbeit und familiärer Sorgearbeit, aber auch an der Diskussionskultur oder Sitzungszeiten liegt.
Aus den Interviews haben wir einige Politikempfehlungen herausgearbeitet, um Sorgearbeit und Geschlechtergerechtigkeit im Strukturwandel zu stärken:
- Themenbereiche jenseits männerdominierter Wirtschaftszweige sollten in der Strukturwandelpolitik gestärkt werden, z.B. kulturelle Angebote und Nachhaltigkeitsprojekte.
- Die soziale Infrastruktur muss unterstützt werden, zum Beispiel durch:
è langfristige Finanzierung von Personalstellen, die die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt notwendige Sorgearbeit leisten können.
è Schaffung von Räumen des Austauschs, in denen sich Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und politischer Einstellung treffen, Konflikte austragen, (bspw. sorbisch/wendische) Feste feiern und neue Identitätsanker für die Region entwickeln können.
- Kleine Gemeinden sollen bei der Erstellung von Förderanträgen unterstützt werden, damit auch sie von den Strukturwandelfonds profitieren können.
- Frauen soll es ermöglicht werden, gleichberechtigt an der politischen Entscheidungsfindung teilzunehmen, indem die Diskussionskultur verbessert wird, Sitzungszeiten so angepasst werden, dass sie mit familiärer Sorgearbeit vereinbar sind, und bei Bedarf Aufwandsentschädigungen für die Teilnahme gezahlt werden.
- Unbezahlte Sorgearbeit in Familien und Gemeinden muss sichtbar gemacht, unterstützt und gleichberechtigt verteilt werden.
- Diejenigen, die bezahlte Betreuungsarbeit in Bereichen wie Bildung und Gesundheit leisten, müssen höhere Löhne, Aufwertung und bessere Arbeitsbedingungen erhalten.
[1] Archiv verschwundener Orte. n.d. Verschwundene Orte. https://www.archiv-verschwundene-orte.de/de/verschwundene_orte/verschwundene_orte/70543 (aufgerufen am 23.05.2024)
[2] Staude, J. 2023. Stiftung für Ewigkeits-Lasten der Braunkohle Ost. https://www.klimareporter.de/strom/stiftung-fuer-ewigkeits-lasten-der-braunkohle-ost (aufgerufen am 23.05.2024)
[3] Die höchste Nachfrage nach Fachkräften wird in Brandenburg und Sachsen von 2018 bis 2035 für den Gesundheitssektor prognostiziert, aber auch im Bildungsbereich ist die Nachfrage hoch (Wagner G (2020): Erarbeitung von Konzepten zur nachhaltigen Sicherung des Fachkräftepotenzials in der Lausitz, https://wirtschaftsregion-lausitz.de/wp-content/uploads/2022/08/16._Konzepte-zur-Sicherung-des-Fachkraeftepotenzials-in-der-Lausitz_Studie.pdf)