Wie sehen zeitgemäße Arbeitsformen aus, die den agilen Anforderungen unserer VUCA-Welt (volatil, unsicher, komplex, mehrdeutig) und den Ansprüchen der Generation Y nach Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben entsprechen? Ein Text von Vivien Eichhorn, Wertewandel e. V.
Laut einer auf Statista veröffentlichten Umfrage legen 48% der Befragten bei der Wahl ihres zukünftigen Arbeitgebers sehr viel Wert auf gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Familienfreundlichkeit wird damit nach dem Betriebsklima zum zweitwichtigsten Faktor der Arbeitgeberattraktivität. Hier setzt das Programm „Triple A – Arbeitgeber-Attraktivität durch flexible Arbeitsmodelle” der gemeinnützigen Organisation “Wertewandel – soziale Innovationen und demokratische Entwicklung e.V.” an. Das Projekt fördert kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) in der Lausitz, die durch den Strukturwandel und die damit einhergehenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt vor großen Herausforderungen stehen. Für die Unternehmen stellen Personalrekrutierung und -bindung die wichtigsten Zukunftsinvestitionen dar, da ihr Erfolg immer stärker von den Mitarbeitenden, deren Qualifikationen, Kompetenzen und ihrer Innovationsfähigkeit abhängig sein wird.
“Auch wir als Projektträger in der Lausitz stellen uns die Frage: Wie attraktiv sind wir als Arbeitgeber?”, sagt Corry Kröner vom Wertewandel e. V.“ Als wir uns vor etwa vier Jahren über unsere Vorzüge als Arbeitgeber Gedanken machten, war schnell klar: zum einen sind es die innovativen Themenfelder, in denen wir arbeiten, zum anderen bieten wir unseren Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen wir durch flexible Arbeitszeitmodelle und mobiles Arbeiten. Zudem beobachten wir, dass sich vorrangig hochqualifizierte Frauen auf unsere Stellenausschreibungen bewerben. Sie wollen an relevanten Zukunftsthemen mitarbeiten und das mit ihrem Privatleben vereinbaren können. Hinzu kommt, wir haben uns bewusst für Agilität und Selbststeuerung von Mitarbeiter*innen und Teams entschieden.
Als Organisation reagieren wir damit einerseits auf die hochdynamische und volatile Arbeitswelt. Andererseits bedeutet es, das agile Mindset in unserer Organisation zu fördern und zu leben. Ziel ist es, autonomes und selbstbestimmtes Arbeiten als zentralen Wert ins Unternehmen zu tragen. Dies trifft den Zeitgeist und damit lässt sich erklären, warum wir trotz der schwierigen Rahmenbedingungen ein attraktiver Arbeitgeber für die Generation Y und für Frauen sind. Wir sind stolz, Unternehmen in der Lausitz weiterzuentwickeln und sie dabei zu unterstützen, sich zukunftsorientiert aufzustellen.” Im Rahmen des ESF Bundesprogramms „Fachkräfte sichern und Gleichstellung fördern“ begleitet Wertewandel e. V. schon seit mehreren Jahren KMU in der Lausitz, die sich zum Ziel gesetzt haben, ein gleichstellungsorientiertes Personalmanagement einzuführen, den Anteil von Frauen zu erhöhen und Voraussetzungen für bessere Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen zu schaffen. “Durch Einführung einer auf die Lebensphasen der Beschäftigten abgestimmten Personalpolitik, die sowohl die Bedarfe der Unternehmen als auch der Beschäftigten berücksichtigt, werden Frauen und Männern während und nach der Familien- und Elternzeit persönliche und berufliche Entwicklungen ermöglicht”, erklärt Corry Kröner. Im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter*innen müssen Unternehmen der Lausitz heute ihre Wettbewerbsvorteile kennen und die Attraktivitätsmerkmale transparent nach außen tragen.
Ein positives Beispiel für heute erforderliche Veränderungsprozesse ist die Little John Bikes GmbH aus Dresden, eines der teilnehmenden Unternehmen im “Triple A – Projekt“. Das Traditionsunternehmen ist im Bereich des Fahrradeinzelhandels tätig und beschäftigt heute 246 Mitarbeiter*innen in bundesweit über 30 Filialen, darunter mehrere Filialen in der Lausitz. Ivonne John ist Unternehmerfrau und arbeitet von Beginn an im Familienbetrieb mit. Begonnen hat sie in der Buchhaltung, später wechselte sie in den Einkauf.
Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, brachte sie manchmal auch an ihre Grenzen. Anfangs arbeitete Sie in Vollzeit und absolvierte “nebenbei” noch eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten. 2004 wurde sie zum ersten Mal Mutter und blieb ein Jahr zu Hause. Anschließend stieg sie in Teilzeit wieder in den Familienbetrieb ein. Die Firma expandierte weiter. 2011 kam dann ihr zweites Kind. Ursprünglich wollte Ivonne John vorübergehend ganz aus dem Unternehmen ausscheiden, aber in Zusammenarbeit mit dem Einkaufsleiter entwickelte sie ein für sich und das Unternehmen passendes Teilzeitmodell. Sie wechselte den Bereich, reduzierte bewusst ihre Stundenzahl auf 20 Stunden und arbeitet öfter mobil, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben. Damit konnte sie ihre familiären mit den beruflichen Bedürfnissen verbinden und dem Unternehmen bleibt eine erfahrene Mitarbeiterin erhalten. “Prinzipiell ist unsere Branche männerdominiert”, berichtet Ivonne John. “In unserer Verwaltung ist das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Mitarbeitenden ausgeglichen. Im Bereich Verkauf und Werkstatt leider nicht. Da besteht noch sehr viel Potenzial. Wir als Unternehmen sind der Überzeugung, dass Frauen inhaltlich andere Ansätze und Denkweisen mitbringen und deshalb stets daran interessiert, diese auch zu fördern. Ein aktuelles Beispiel ist die Einstellung unserer ersten FilialleiterIn in Güstrow. Wir wollen Frauen die Möglichkeit bieten, wieder in die Erwerbstätigkeit zu treten.” Ein gutes Beispiel und ein wichtiges Handlungsfeld für eine Politik der Chancengleichheit im Unternehmen.
Wertewandel e. V. begleitet ein anderes Unternehmen derzeit im Rahmen des Projekts „Triple A“ den Aufbau und die Gründung eines unternehmensinternen Frauennetzwerkes. Es soll Frauen auf dem Weg zu Führungspositionen Mut machen und ihnen Erfahrungsaustausch und Unterstützung bieten, denn noch gibt es viele Aspekte, die es zu verbessern gilt. So beispielsweise das Aufbrechen von Stereotypen. Noch immer wird in Unternehmen häufig in traditionellen Geschlechterrollen gedacht. Stereotype sind oft noch tief im Berufsalltag eingegraben. Für eine Veränderung werden Rollenvorbilder benötigt. Das können Männer sein, die Elternzeit in Anspruch nehmen oder Frauen, die Führungspositionen in männerdominierten Branchen übernehmen. Die aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung „Wer gewinnt? Wer verliert?“ zeigt, dass gerade Mütter in Bezug auf Chancen und Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt das Nachsehen haben. Bei ihnen führen Kinder immer noch zu einer deutlichen Minderung des Lebenserwerbseinkommens, wogegen sich das bei Vätern nur gering auswirkt. Weder Frauen noch Männer sollen sich zwischen Beruf und Privatleben entscheiden müssen. Ziel der Arbeitgeber muss es sein, die Bedürfnisse von Mitarbeitenden in ihren Lebensphasen zu erkennen und entsprechende Angebote zu entwickeln. Jedes Unternehmen sollte sich daher mit lebensphasenorientierter Personalpolitik auseinandersetzen.
Als Projektinitiator und -träger von „Triple A“ ist Wertewandel e. V. stark daran interessiert, KMU aus der Lausitz in den Fokus zu stellen, Frauen aus diesen Unternehmen zu begleiten und sie in ihren Kompetenzen zu fördern. Ab Januar 2021 startet der zweite Durchgang in diesem Projekt, an dem auch Unternehmen teilnehmen werden, die bereits teilweise frauengeführt sind.
Wir bedanken uns bei Ivonne John von Little John Bikes und bei Corry Kröner vom Wertewandel e. V. für das Gespräch.
Vivien Eichhorn…
… arbeitet seit 2016 als Projektmanagerin bei Wertewandel e. V., u .a. für das Bundesprogramm BIWAQ (Bildung, Wirtschaft und Arbeit im Quartier) im Handlungsfeld „Stärkung der lokalen Ökonomie“. In Zusammenarbeit mit der BTU Cottbus-Senftenberg aus dem Fachgebiet Stadtmanagement führte sie Primärforschung zum Kaufverhalten in Weißwasser durch, organisierte Prozessberatungen in KMU und Vernetzungsveranstaltungen.
Wertewandel – Soziale Innovation und demokratische Entwicklung e. V….
… realisiert Projekte in den Bereichen Stadt- und Regionalentwicklung, Fachkräftesicherung und Bildung/Qualifizierung, Innovationsförderung und Stärkung der Zivilgesellschaft.
Weitere Informationen zum Projektträger finden Sie unter: www.wertewandel-verein.de