F wie Franzi Pohl

Abgelaufen

Franziska Pohl gestaltet Wohnräume. Am liebsten Altbauten, denn die tun ihr leid. Sie besichtigt gern, auch wenn sie nichts sucht, und sieht dabei oft schlimmes an Altbauvernachlässigung: „muffelige Atmosphäre mit typischer Raufaser, dreimal übereinander, und komische alte Bodenbeläge, die schlecht verklebt sind“.

Nach dem Grundgesetz der Atmosphäre können Menschen am besten strahlen, wenn die Räume in denen sie leben es tun, sagt Franzi. Sie ist geborene Zittauerin und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen durch Räume in eine gute Energie zu bringen. Da Menschen in Resonanz mit ihren Wohn- und Lebensräumen stehen, werden sie durch die Farben, Muster und Einrichtungsgegenstände, die sich in diesen Räumen befinden, geprägt.

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Franzi Pohl in ihrem sonnigen Winterquartier

 „Das ist so wie: wenn es kalt ist, dreh ich die Heizung auf. So wirkt auch eine Wandfarbe auf’s Gemüt. Das haben nur einige Leute noch nicht verstanden und die, die davon wissen, wollen mit der Farbe nichts falsch machen. “

Franzi betreibt derzeit drei Ferienwohnungen in Zittau und Olbersdorf. Sie mietet diese, statt sie zu kaufen. Dieses Konzept der Arbitrage ermöglicht es auch Menschen mit kleinem Budget, eine Ferienwohnung zu betreiben. Einige haben sich von Franzi bereits inspirieren lassen. Es ist für sie auch eine Möglichkeit, dem Leerstand in der Region zu begegnen: durch Miete können Veränderungen schnell und verhältnismäßig günstig stattfinden. In Venezuela, wo Franzi drei Monate gelebt hat, hat sie eine Idee vom Sozialismus bekommen und gemerkt, „krass, das ist ja irgendwie Teil meiner Wurzeln“. Das, was Eltern und Großeltern von Kreativität durch Mangel früher erzählt hatten, begriff sie nun. Und lernte, etwas aus und mit dem zu machen, was da ist.

„Hier kann ich die Beine lang machen. Hier komme ich zu mir, kann mich ausruhen vom Alltag und wirklich entspannen. Zittau ist perfekt dafür, aber wenn du halt in der Unterkunft ankommst und dann stehen da so ausrangierte Möbel ohne Konzept, Hauptsache ein Bett, ein apricotfarbenes Sofa und dann hängt da noch irgendwie ein billiger Druck an der Wand… Nee! Wir brauchen Stimmung. Wir brauchen diese Atmosphäre, die wir in der landschaftlichen Umgebung wiederfinden. Die müssen wir auch in den Unterkünften erzeugen, diesen Wohlfühlfaktor, der die Region so besonders macht.“

Franzi, die in Ottersberg bei Bremen Kunst im Sozialen studiert hat, weiß, dass eine solche eher pragmatisch-praktisch eingerichtete Ferienwohnung ein Urlaubserlebnis negativ beeinflussen kann. Das, was ihre Ferienwohnungen von vielen anderen unterscheidet, ist ihre Herangehensweise, die Idee der Atmosphäre als vierte Dimension. In ihren Ferienwohnungen sollen die Gästinnen und Gäste aus eleganten Korbsesseln heraus ihren Blick aus dem Fenster richten, sich beim Duschen gerne wie im Wellnesshotel fühlen und es sich nach ihren Tagesausflügen in stilvoller Atmosphäre gemütlich machen. Dazu gehören neben selbst restaurierten Einzelstücken mit Bedacht ausgewählte Muster auf Tapeten, Kissen, Teppichen. Dazu gehören Pflanzen, die ein wohnliches Gefühl geben. Dazu gehört hochwertiges Inventar. Ausrangierte Stühle, stumpfe Messer oder olle Handtücher sucht man in Franziska Pohls Ferienwohnungen vergeblich. Nichts ist dem Zufall überlassen, es gibt kein überflüssiges Möbel und kein fehlendes, und genau das macht diese Ferienwohnungen zu Orten der Ruhe und Entspannung. Dass es auch keine Fernseher gab, ging manchen Gästinnen dann allerdings zu weit – inzwischen gehören auch die teilweise zur Ausstattung.

“Ich lebe gern am Übergang.“

Nach 5 Jahren in Zittau stellt sie 2020 fest, dass sie Abwechslung braucht, um inspiriert zu sein. Franzi wollte, so erzählt sie, eine Bilderbuchrückkehrerin sein, das Konzept Rückkehrerin leben: nach einigen Jahren Reisen und Arbeit mit den Erfahrungen im Gepäck zurück in die Heimat. Hausbau, vielleicht Heirat, Kinder. Es schien auch anfangs alles perfekt: die Liebe führte sie zurück nach Zittau. Allein hätte sie sich nicht getraut, sagt sie, sich nicht bereit gefühlt für diesen Schritt, der sich groß anfühlte.

Das erste Jahr der Rückkehr war schlimm, erzählt Franzi. Ihr fehlte ein großer, bunter Freundeskreis und dass sie ihr Studium als eine der Besten abgeschlossen hatte, interessierte hier niemanden.

Sie besann sich auf das, was da war: nicht nur Franzis Familie, die hier lebt, ist ein wichtiger Pluspunkt. Als hier Aufgewachsene schätzt sie die sportlichen Möglichkeiten, die das Zittauer Gebirge bietet, ebenso wie die Grenznähe und die Strukturen in der Stadt, die es erlauben, sich schnell von A nach B zu begeben und so die Umgebung voll auszukosten.

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Franzi und Debbie beim Interview

Dieses Altbekannte erkundete die Rückkehrerin und verortete sich neu, um in der Region anzukommen. Das gelang. Und ermöglichte einen weiteren für Franzi wichtigen Schritt zum Wohlfühlen: etwas zu machen, von dem andere auch etwas haben, einen Mehrwert für die Region zu schaffen. In ihrem Fall waren zwei Festanstellungen einfach nicht das richtige. Den gemeinsamen Traum der Selbständigkeit erfüllte sie sich schließlich mit ihrer Freundin Sophie Herwig: die erste Ferienwohnung. „Dann haben wir irgendwie angefangen, einfach so, wir hatten keinen Plan“, sagt Franzi Pohl. Die ersten Gästinnen waren begeistert. Und die Anfragen häuften sich.

Mit ihrem damaligen Partner baute sie ein Haus aus, bekam eine Festanstellung, baute Freundeskreis und Netzwerk auf: von außen zweifellos eine geglückte Rückkehr zweier, die viel gesehen hatten und andere Perspektiven von ihren Reisen mitbrachten, die sie in die Gestaltung der Region einbringen wollten. Aber Franzi war nicht glücklich. Und dieses Gefühl ließ sich irgendwann nicht mehr ignorieren.

„Manchmal fühlte sich alles zu klein an, um ‚ich selbst‘ zu sein.“

Deshalb sitzt sie, als ich mit ihr spreche, gerade im spanischen Valencia. Sie ist nicht nur unverschämt braungebrannt für Mitte Dezember, sondern sieht auch noch entspannt aus, was kurz vor Weihnachten ein eher seltener Anblick ist. Doch neben dem Genuss von Sonne und Meer arbeitet Franzi gerade an ihrem neuen Projekt: sie macht eine Coaching-Ausbildung und baut ihre digitale Wohnraumberatung auf. Das geht digital und ermöglicht es ihr, immer mal woanders zu sein und trotzdem ihre „Home Base“ in Zittau zu haben, der Stadt ihres Herzens.

„Ich muss mich nicht entscheiden, bin ich jetzt die Rückkehrerin, die für immer in Zittau ist? Das war mein Glaubenssatz, wenn ich zurück nach Zittau gehe, dann für immer. Nee. Ich kann weggehen und wiederkommen.“

In anderen Städten – Franzi ist bisher fünfzehnmal umgezogen, lebte unter anderem in Bremen, Leipzig, Spanien und Venezuela – fühlte sie eine innere Unruhe, das Gefühl, weiter zu müssen. In Zittau fühlt sie sich „voll“. Beheimatet. Wohl. Angekommen. Und sie weiß, dass sie hier nicht weiter muss, sondern einfach bleiben kann. Dieses Gefühl möchte sie ihren Gästinnen geben, wenn sie das Zittauer Gebirge besuchen.

Für die Region wünscht sie sich, dass Menschen wiederkommen, die fortgegangen sind. Dass sie sich und ihre Erfahrungen einbringen und die Region gestalten, etwas zurückgeben. Die Ausrede „ich bin ja woanders, da kann ich nix für Zittau machen“ lässt Franzi, die ihre drei Ferienwohnungen derzeit von Valencia aus managt, nicht gelten. Jedoch sieht sie durchaus die Region in der Verantwortung, für Menschen von außerhalb durch gutes Marketing einen Zugang zu schaffen. Was ist Zittau heute? Was passiert hier? Wer ist hier? Wie lebt es sich hier? Mit dem Zittau, aus dem die achtzehnjährige Franzi wegging, hat die Stadt heute nichts mehr zu tun, sagt sie. Gelungenes Marketing war es auch, welches Franzi in ihrer Entscheidung zur Rückkehr bestärkte.

Ein Probewohnen, wie es in Görlitz ermöglicht wird, wäre dafür perfekt. Menschen könnten zeitweise in Zittau leben und so die Region und das Lebensgefühl, die Stimmung kennenlernen. Mit Franziska Pohl stünde auch schon eine Wohnraumexpertin bereit, die so etwas für Zittau liebend gern mit aufbauen würde.

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"Gelungenes Marketing war es auch, welches Franzi in ihrer Entscheidung zur Rückkehr bestärkte."

 Derzeit lebt Franzi die Idee von einem Winterquartier im warmen Spanien. Langfristig jedoch möchte sie dieses Winterquartier in einer Ferienwohnung gestalten, in der sie zeitweise selbst lebt und die sie vermietet, wenn sie in Zittau, ihrem Fixpunkt, ist. Im Frühling wird sie zurück in Berlin und Zittau sein und mit ihrer Online-Wohnraumberatung durchstarten, doch bis dahin findet man sie erstmal in Spanien.

 

 

Deborah Halang...

... hofft sehr darauf, in Franzis künftigem Winterquartier zu urlauben und noch viel lieber mit Franzi die weibliche Übernahme des Zittauer Stadtrats zu planen. Sie arbeitet als Sozialwissenschaftlerin an der TH Nürnberg und befragt freiberuflich Menschen zu ihren Leben.

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