„Solange es Menschen gibt, die Sorbisch sprechen, lebt die Sprache“

Abgelaufen

Wie eine junge Sorbin sich für das Überleben ihrer Kultur einsetzt

Der Kohleabbau hat nicht nur dem Klima geschadet, sondern auch den Menschen in der Lausitz. Vor allem der Minderheit der Sorb*innen, denn über 100 sorbische Dörfer wurden für den Tagebau abgebaggert. Einige Menschen kämpfen jetzt um das kulturelle Erbe der Sorb*innen.

Den Ort, in dem Maja Schramms Oma aufgewachsen ist, gibt es nicht mehr. Denn da, wo früher das Dorf Klein Briesnig lag, gähnt jetzt der Tagebau Jänschwalde. Insgesamt wurden in der Lausitz für den Kohleabbau mehr als 130 Dörfer abgebaggert. Auch wenn viele Dörfer umgesiedelt wurden, ein Teil der Kultur und Tradition geht immer verloren. Besonders hart trifft das die Menschen, die sowieso schon um den Erhalt ihres kulturellen Erbes kämpfen müssen: In der Lausitz ist das in besonderem Maß die sorbische Minderheit. Die enge Verbundenheit dieser slawischen Volksgruppe mit der Region geht schon aus der sorbischen Hymne hervor.

Schöne Lausitz,

ehrliche, freundliche,

Land meiner sorbischen Väter,

Paradies meiner glücklichen Träume,

heilig sind mir deine Fluren!

Maja Schramm oder Maja Šramojc, wie ihr Name auf Niedersorbisch heißt, kämpft jetzt dafür, dass so viel wie möglich von der sorbischen Kultur erhalten bleibt. Die 19-jährige kommt aus Gulben, einem kleinen Dorf in der Nähe von Cottbus und studiert inzwischen im dritten Semester Sorabistik in Leipzig. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich viel mit Musik und produziert den Podcast Plattenkombüse mit. Außerdem arbeitet sie für die Jugendkoordination der Domowina, dem Dachverband der sorbischen Vereine in Cottbus. Das ist eine Arbeit, die sie sich für die Zukunft vorstellen kann: Die Landjugenden und Vereine in der Umgebung von Cottbus zu koordinieren und zu unterstützen und so dazu beizutragen, sorbische Kultur und Bräuche am Leben zu halten.

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Die sorbische Minderheit

Die sorbische Minderheit ist eine slawische Volksgruppe, die seit dem Frühmittelalter in der Lausitz lebt. Sie ist neben der dänischen Minderheit, der friesischen Volksgruppe und den deutschen Sinti und Roma eine der vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland. Damit steht den Sorb*innen, manchmal auch Wend*innen genannt, ein besonderes Recht auf Schutz und Förderung durch den Bund und die Länder zu. Die Sorb*innen haben ihre eigene Hymne und Flagge und sogar zwei Sprachen: Obersorbisch, das eher dem Tschechischen ähnelt und Niedersorbisch, das eher wie Polnisch klingt. In einigen Jahren könnte sorbisch nur ein netter Zusatz auf den zweisprachigen Straßenschildern sein. Nur rund 60.000 Sorb*innen leben heute noch in der Lausitz, gesprochen wird sorbisch wird im Alltag aber nur noch von knapp 20.000 Menschen. Damit sind die sorbischen Sprachen laut der UNESCO bedroht. Früher waren die meisten Sorb*innen evangelisch, aber während der DDR litten besonders die Niedersorb*innen unter einem raschen Identitätsverlust. Heute sind fast 90 Prozent der Sorb*innen Katholik*innen.

Auch Maja Schramm ist keine sorbische Muttersprachlerin. Während Obersorbisch in der Gegend um Bautzen und Hoyerswerda noch in einigen Dorfgemeinschaften gesprochen wird, ist Niedersorbisch schon jetzt beinahe ganz aus dem Alltag verschwunden. Die wenigen Menschen, die noch damit aufgewachsen sind, sind heute sehr alt und haben das Niedersorbische häufig nicht an ihre Kinder weitergegeben. So auch bei Schramms: In ihrer Familie sprach nur noch der Opa einige Brocken Sorbisch, ihre Mutter lernte es nie.

Trotzdem war es Majas Mutter wichtig, den Kindern diesen Teil der Kultur mitzugeben. Maja Schramm besuchte darum zuerst einen sorbischen Kindergarten, wo sie zuerst spielend mit dem Niedersorbischen in Berührung kam. Später besuchte sie auch eine sorbische Schule. In der Oberstufe wollte sie gerne Sorbisch im Leistungskurs belegen. Allerdings als Einzige aus ihrer Klasse und darum musste sie sich mit dem Grundkurs begnügen. „Aber das war nicht anspruchsvoll genug für mich“, beklagt sich Schramm heute noch. Selbst an den wenigen sorbischen Schulen ist aus Schramms Sicht das Interesse an der Sprache eher gering. „Beim Abi haben sich bestimmt 90 Prozent gefreut, dass sie nie wieder Sorbisch sprechen müssen“, sagt sie. Auch ihre Entscheidung, das Sorbische sogar zum Beruf zu machen und zu studieren, stieß bei vielen ihrer Mitschüler*innen und Bekannten eher auf Unverständnis.

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„Es gibt einfach keine Sprachräume“, nennt die Studentin eines der Probleme des Sorbischen. Im Alltag, in der Pause oder im Café werde letztendlich fast immer Deutsch gesprochen. Wie schwierig es ist, mit einer fast ausgestorbenen Sprache zu arbeiten, zeigt sich auch in Schramms zweitem Job. Für den rbb arbeitet sie nämlich noch beim sorbischen Jugendmagazin Bubak. Zweimal im Monat berichtet sie darin auf Niedersorbisch über Themen der Region. Nicht nur die sorbische Sprache hat hier ihren Platz, sondern in jeder Sendung muss auch mindestens ein sorbisches Lied gespielt werden. Diese Arbeit ist aber auch ernüchternd: Viele Hörer*innen kann das Format nicht haben, denn es sprechen nur noch wenige Menschen Niedersorbisch auf einem Niveau, das Ihnen erlaubt, Radiosendungen zu verstehen.

Woher Schramms große Begeisterung für das Sorbische kommt, kann sie gar nicht genau festmachen. „Ich hatte schon immer Interesse an Sprachen“, sagt sie. Außerdem gefällt ihr der Zusammenhalt in der niedersorbischen Community, jeder kenne jeden und man unterstütze sich gegenseitig. Feste wie Fastnacht seien immer ein Highlight für sie. Außerdem glaubt Schramm, dass die alten sorbischen Traditionen, den Zusammenhalt in der Region stärken. In diesem Jahr machte Corona vielen der sorbischen Traditionen einen Strich durch die Rechnung: Große Veranstaltungen mussten abgesagt werden, zu hoch ist die Infektionsgefahr. Aus Schramms Sicht ist das schade, aber auch problematisch, weil das die sorbische Kultur weiter schwächen könnte.

Der Strukturwandel und seine Auswirkungen auf die sorbische Minderheit

Gerade im vergangenen Jahrhundert musste die sorbische Community sowieso einige Rückschläge einstecken: Der Kohleabbau und das damit verbundene Abbaggern von sorbischen Dörfern traf die Minderheit hart. Rund 25.000 Menschen wurden umgesiedelt – viele davon Sorb*innen. Durch Umsiedlungen, Weg- und Zuzug aufgrund von Kohlenabbau wurden die traditionellen Dorfgemeinschaften durchgerüttelt, kulturelle Identität verschwand buchstäblich im Bodenlosen und auch die sorbische Sprache litt. Schramm erklärt das am Beispiel der Ortschaft Horno, die 2004 dem Tagebau Jänschwalde weichen musste: Das Dorf wurde zwar umgesiedelt, aber nur 70 Prozent der Einwohner*innen kamen mit.

Auch wenn die politische Vertretung der Sorb*innen sich regelmäßig gegen den Kohleabbau aussprach, stellt der Kohleausstieg die Minderheit jetzt wieder vor eine große Herausforderung: Viele Sorb*innen arbeiten heute im Kohleabbau und damit in Jobs, die in den nächsten 20 Jahren verschwinden werden. Er kann aber auch eine Chance sein: Durch das Strukturstärkungsgesetz werden kommunale Strukturen in der Region gefördert und auch sorbisches Kulturgut. Maja Schramm hofft, dass gerade durch Tourismus neue Impulse entstehen, sich mit dem sorbischen Kulturgut auseinanderzusetzen.

 

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Schramm versucht in ihrem Alltag immer wieder aktiv Sorbisch zu sprechen. Mit einem Freund unterhält sie sich hauptsächlich auf Sorbisch, in Leipzig geht sie regelmäßig zum sorbischen Stammtisch. Während ihres Studiums ist Schramm aber auch immer stärker bewusst geworden, dass sie als Niedersorbin eine Minderheit in der Minderheit ist. Die Obersorb*innen an der Uni belächeln sie eher, der größte Teil des studentischen Lebens und der Veranstaltungen konzentriere sich eher auf das Obersorbische.

Die Studentin hat einige Ideen, wie es mit dem sorbischen Kulturerbe besser laufen könnte: Sie wünscht sich mehr Anerkennung für die sorbischen Traditionen. Außerdem will sie, dass die Sorb*innen nicht nur als ein Bauernvolk angesehen werden. Bands und Hiphop-Gruppen tragen dazu bei. So zum Beispiel die Band „KulaBula“ auf Niedersorbisch oder „Skupina Astronawt“ auf Obersorbisch. Grundsätzlich sei es aber um die sorbische Kultur zu schützen, nicht nur wichtig, in Kultur zu investieren, sondern auch die Infrastruktur in der Lausitz zu stärken und so Menschen vom Wegzug abzuhalten. Der demografische Wandel und die Tatsache, dass viele Menschen fürs Studium weggehen und nie wieder zurückkehren, sind auf der einen Seite für die gesamte Lausitz, aber im Besonderen auch für die sorbische Minderheit große Herausforderungen.

Trotz ihres Engagements macht sich Schramm gerade fürs Niedersorbische keine allzu großen Hoffnungen. „Sorbisch ist eine aussterbende Sprache“, meint sie nüchtern. „Aber solange es noch Menschen gibt, die Sorbisch sprechen, lebt die Sprache“.

 Lisa Kuner…

…ist freie Journalistin, sie schreibt für die FAZ über Bildung, für Perspective Daily über den Osten und würde am liebsten aus Brasilien von sozialer Ungleichheit erzählen. Außerdem studiert sie Nachhaltige Entwicklung in Leipzig. Einen Überblick über ihre bisherigen Veröffentlichungen gibt es hier: https://www.torial.com/lisa.kuner

Fotos…

… Tine Jurtz, https://www.tinejurtz.de/

 

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