Wir lieben die Lausitz - “aber nur en bissl”

Abgelaufen

5 Jahre und immer noch nicht schlauer?!

Ein Update in vier Teilen - Part 1

 

Im Dezember 2016 wurde die von Julia Gabler und ihrem Team abgeschlossene Studie Wer kommt? Wer geht? Wer bleibt? über die Verbleibchancen von jungen, qualifizierten Frauen im Landkreis Görlitz veröffentlicht. Im ersten Satz über die Relevanz der Studie heißt es: “Die Verbesserung der Verbleibchancen junger Menschen [...] ist von zentraler Bedeutung für die demografische und gesellschaftliche Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten” (S.5). In den Handlungsempfehlungen werden Möglichkeiten beschrieben, um junge Menschen zum Bleiben und (Wieder-) Kommen zu ermutigen.

Vier Jahre und vier Monate später wird der zweite Lausitz Monitor veröffentlicht. Die im Frühjahr 2021 durchgeführte repräsentative Bürger*innen-Befragung von Lausitzer*innen spiegelte die Erkenntnisse von 2016 wider. Junge Frauen und Männer möchten die Region verlassen, Frauen können sich jedoch weniger häufig vorstellen, zurückzukommen. Der Lausitz Monitor liefert dafür auch zahlreiche Gründe und erklärt, was in den letzten fünf Jahren noch zu wenig ernst genommen wurde. Wir - Julia Gabler und Franziska Stölzel - nutzen die Gelegenheit, um gemeinsam zu resümieren.

Wir lieben die Lausitz - “aber nur en bissl”

Franziska Stölzel: Frauen zwischen 18 und 39 Jahren sind weniger stark an die Lausitz gebunden. Ihre emotionale, rationale und normative Bindung ist im Vergleich zu den anderen befragten Gruppen unterdurchschnittlich stark ausgeprägt. Sie sind nicht besonders stolz, Lausitzerinnen zu sein und sie haben auch keine Schuldgefühle, die Lausitz zu verlassen, da sie keinen speziellen Nutzen darin sehen, hier zu bleiben. Anscheinend wurden die in 2016 empfohlenen Handlungen - nämlich das Signalisieren, “dass in der Region Platz für sie ist, dass sie gebraucht und geschätzt werden, dass sie willkommen sind” (S.33) - die Bindungen und den Nutzen des Bleibens durch bestimmte Maßnahmen zu stärken wenig oder nicht genug umgesetzt. 

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Julia und Franzi im Gespräch: "Frauen gestalten Strukturwandel, Männer aber mehr"

 Julia Gabler: Das stimmt, Franziska. Allerdings erleben wir mit dem Netzwerk und dem digitalen Stammtisch, dass die Frauen sich gegenseitig signalisieren, wie wichtig es ist, dass sie, ja, wir hier sind. Trotzdem die Abwanderungsmobilität bleibt hoch und ist wie Ines Fabisch es sagte “strukturell verfestigt” - es ist nach wie vor eine riesige Anstrengung für Bedingungen zu sorgen, die es Frauen attraktiv machen, hier zu bleiben. Man könnte sagen: wir ackern hier, um, nicht nach Berlin oder Leipzig ziehen zu müssen. 

Die Leute in der Lausitz - ob hier wohnend oder schon aus der Ferne - beschreiben sich gerne als besonders heimatverbunden. Das ist dann problematisch, wenn daraus Haltungen erwachsen, die nicht verstehen, dass auch die Lausitz von unterschiedlichen Lebensweisen geprägt ist, Kritik an den dominierenden Heimat- und Wertvorstellungen als Beschmutzung verunglimpfen und die Förderung demokratischer Bildung und sozialer Innovationsfähigkeit als Geldverschwendung ansehen. Alles Punkte, die für die Verbleibchancen von Frauen höchst relevant sind: Pluralität, Bildung, kritischer Diskurs und neue Formen von Arbeit und Leben erfinden - die die Vorzüge des Lebens jenseits der Metropolen mit den Gestaltungschancen und Auseinandersetzungen einer postindustriellen Gesellschaft verbinden.

Lausitzmonitor 2

Quelle: Lausitz Monitor

Die geringe Bindung an die Lausitz auf der Gefühlsebene, aber auch in rationaler und normativer Hinsicht ist Ausdruck von Freizügigkeit junger Frauen, sich nicht binden zu müssen: Die Frauen sehen also gar keinen Grund, sich schuldig zu fühlen oder besonders stolz zu sein. Man kann es auch deuten, dass der Entwicklungsprozess in der Region aus Sicht von Frauen stagniert und allein die wirtschaftspolitische Ausrichtung nicht dazu führt, hierbleiben zu wollen. Die Verfahren von Beteiligung und die Maßnahmen zur Stärkung von Verantwortlichkeit adressieren (noch) nicht den Großteil der Menschen - die Mehrheit der jungen Frauen - die (noch) hier leben. Sie einzubeziehen und ihnen angemessene Gestaltungsräume zu ermöglichen, in denen sie strukturelle Verantwortung übernehmen und durchsetzen können, wären Bindungsversuche die lohnend sein werden.

Unzufriedenheit

Franziska Stölzel: Des Weiteren sind die jungen Frauen in der Lausitz die Gruppe, welche mit der Entwicklung der Lausitz und der derzeitigen Lebenssituation am unzufriedensten sind. “Nur jede vierte jüngere Frau (26 Prozent) ist mit der derzeitigen Situation in der Lausitz zufrieden oder sehr zufrieden; bei den Männern der gleichen Altersgruppe (18-39) liegt dieser Anteil bei immerhin 45 Prozent. Zum weiteren Vergleich: 40 Prozent der 40-59-jährigen Frauen sind mit der derzeitigen Situation in der Lausitz zufrieden oder sehr zufrieden sowie 35 Prozent der Männer dieser Altersgruppe” (Stölzel; 2021)

Julia Gabler: Ich fand diesen Absatz aus Deinem Artikel zum Lausitz-Monitor zentral: “Während der Anteil der Lausitzerinnen und Lausitzer, die meinen, dass die Situation in der Lausitz während der vergangenen fünf Jahre besser oder sogar viel besser geworden ist, über alle Bevölkerungsgruppen hinweg betrachtet, von 43 Prozent in 2020 auf 46 Prozent in 2021 leicht gewachsen ist, hat sich der Anteil bei den jüngeren Frauen von 50 Prozent in 2020 auf 34 Prozent in 2021 verringert”. Das finde ich dramatisch und sehr besorgniserregend. Eigentlich haben im Zuge des Strukturwandels durch den Kohleausstieg auch in der Lausitz die Beteiligungs- und Mitwirkungschancen zugenommen, um die Qualität der Entscheidungen über die zukünftigen Entwicklungen in der Lausitz zu erhöhen. Entweder kommen diese bei den jungen Frauen nicht an oder, wenn sie mitwirken wollen, machen sie die Erfahrung, sich nicht wirkungsvoll einbringen zu können und Entwicklungen nicht in ihrem Sinne beeinflussen zu können. Victoria Luh und Johannes Staemmler vom IASS haben für F wie Kraft den Mitmachfonds ausgewertet und ebenfalls festgestellt: Frauen gestalten Strukturwandel, Männer aber mehr.

 

Julia Gabler...

... lehrt als Vertretungsprofessorin im Master Studiengang Management Sozialen Wandels und forscht am TRAWOS-Institut der HSZG zur ländlichen Gesellschaft. Sie lebt in Görlitz und forscht u. a. zu den Verbleibchancen qualifizierter Frauen in Ostsachsen sowie zum Strukturwandel in der Lausitz. Als Mitbegründerin der Plattform F wie Kraft versucht sie, hier auf der Website, in Gremien und Wissenschaft die Sichtbarkeit von und Verantwortungsräume für Frauen und Geschlechtergerechtigkeit in der Lausitz zu stärken.

Franziska Stölzel...

... ist Wissenschaftlerin für Wandel- und Transformationsprozesse. Obwohl es sie nach ihrem Studium zunächst nach Südamerika gezogen hat, war für sie immer klar, dass sie zurück in die Lausitz möchte. Aktuell lebt sie in Weißwasser. Sie ist in verschiedenen Projekten aktiv, wie bspw. dem Soziokulturellen Zentrum Telux, als auch als Mitautorin des Lausitzmonitors. Nicht zu vergessen war sie maßgeblich daran beteiligt den Lausitzerinnen Frauenstammtisch zu initiieren.

 

  • Gespannt auf Teil 2, 3 und 4 der Serie? Stay tuned!

 

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