„Ich bringe gerne Regionen voran“

Abgelaufen

Kathrin Uhlemann kommt zwar nicht aus Niesky, aber sie ist sich sicher, dass sie die Stadt positiv verändern kann. Darum tritt sie dort für die Bürgermeisterwahl Ende des Jahres an.

Dresden, Tadschikistan, Kirgisistan, Görlitz und nun bald vielleicht Niesky – der Lebensweg von Kathrin Uhlemann ist eher ungewöhnlich. Nach vielen Stationen in Asien hat es sie schon vor einiger Zeit wieder zurück in nach Ostdeutschland gezogen. Sie ist in der Lausitz, in Görlitz gelandet und hat bisher auch hauptberuflich Strukturwandelprozesse begleitet. „Ich habe viel Erfahrung mit Transformationsprozessen“, sagt die 44-jährige. Rund 15 Jahre lang war sie für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Meist hat sie dort im post-sowjetischen Zentralasien daran gearbeitet, Strukturen wieder aufzubauen, beispielsweise in Kirgisistan oder Tadschikistan. „Ich bringe gerne Regionen voran“, erinnert sie sich.

Tine Jurtz Fotografie 2021 10 1110s

Bisher hat sie das vor allem aus der diplomatischen Perspektive einer Projektverantwortlichen bei einem Bundesunternehmen gemacht, sie hat Dialoge organisiert, Projekte geplant. Das alles habe ihr eine Menge an Handwerkszeug und Methoden, sowie ein umfassendes Verständnis von Transformation und Wandel gegeben, sagt sie.

Gestalten und nicht nur verwalten

Um noch stärkere Impulse zu setzen, möchte sie nun selbst politisch aktiv werden. „Ich will nicht nur eine Verwalterin, sondern eine Gestalterin sein“, sagt sie. „Bisher ist Niesky hinter seinen Möglichkeiten zurück geblieben“. Kathrin Uhlemann tritt zwar für die CDU an, ist aber selbst parteilos. Ihre Verbindung mit der CDU beschreibt sie als eine Art strategische Zweckgemeinschaft. Die CDU habe für die Stadt nach einer geeigneten Kandidatin gesucht und sie nach einer neuen beruflichen Herausforderung. „Ich teile aber das Werteverständnis der CDU“, sagt sie.

Kathrin Uhlemann ist in Dresden aufgewachsen. Zur Zeit der Wende war sie 13 Jahre alt, die Umbrüche der darauffolgenden Jahre haben sie geprägt. Sie erinnert sich besonders an die Freiheit, die mit dem „neuen Zeitalter“ kam. Beispielweise für Auslandsaufenthalte. Sie erinnert sich aber auch daran, wie ihr Vater als Patentanwalt in den folgenden Jahren versuchte, ostdeutsches Traditionshandwerk zu schützen und wie schwierig das manchmal war. Zum Studium in Biochemie zog sie nach Halle an der Saale, von da aus dann in die weite Welt. Damit ihre Kinder in Deutschland zur Schule gehen können, kam sie irgendwann wieder zurück. Aktuell arbeitet sie für die Sächsische Agentur für Strukturwandel.

Zusammenarbeiten auf einem persönlichen Level

Und warum will Uhlemann nun gerade Bürgermeisterin von Niesky werden? Die Stadt habe die perfekte Größe, sagt sie. Niesky gehört mit rund 10.000 Einwohner*innen zu den kleinsten Städten in Sachsen. Die Stadt liegt im Landkreis Görlitz, nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Sie hat die typischen Probleme, die viele sächsische Kleinstädte prägen: Eine abnehmende Zahl an Einwohner*innen, ein Problem mit Rechtsextremismus. Nirgendwo in Deutschland hat die Alternative für Deutschland (AfD) bei den Bundestagswahlen im September so viele Stimmen bekommen wie im Landkreis Görlitz. Hinzu kommt die Abhängigkeit von der Kohle und die Frage, wohin es nach dem Kohleausstieg mit der Region geht. Uhlemann sieht das alles, als erstes aber sieht sie die perfekte Größe der Stadt: Sie sei klein genug, dass man auf einem guten persönlichen Level zusammenarbeiten könne.  „Ich bin zwar nicht von hier, ich kenne nicht jede Ecke“, sagt sie. „Aber ich habe die Möglichkeit, die Stadt aus einem anderen Blickwinkel heraus voranzubringen: als Neu-Lausitzerin“.

Tine Jurtz Fotografie 2021 10 1160s

Außerdem betont sie immer wieder, wie traditionsreich das Städtchen eigentlich sei. Niesky ist eine Herrnhuter Brüdergemeine, dass das immer wieder vergessen wird, findet Uhlemann traurig. Der Herrnhuter Weihnachtsstern, der in ganz Deutschland auf Weihnachtsmärkten und in Wohnzimmern den Advent verschönert, sei eigentlich sogar in Niesky erfunden worden – nur wisse das nun leider kaum noch jemand. Uhlemann würde das gerne ändern – beispielweise indem der Stern in einem Staffellauf symbolisch von Niesky ins südsächsische Städtchen Herrnhut getragen wird.

Traditionsreiche Vereinslandschaft

Bei der Frage nach dem, was sich zu erhalten lohnt, nennt Uhlemann auch die ausgeprägte Vereinsarbeit in Niesky. Natürlich schrumpft die Stadt, wie die meisten in der Region, durch Wegzug und demografischen Wandel. Gleichzeitig fahre der örtliche Fußballverein Eintracht zweimal in der Woche mit einem Bus nach Dresden, um junge Menschen von dort zum Vereinstraining nach Niesky zu bringen. „Davon bin ich schwer beeindruckt“, sagt die Bürgermeisterkandidatin.

Auch sonst gebe es viele Traditionen, die in Niesky noch nicht genug gewürdigt werde und deren Potenzial übersehen wird, meint Uhlemann. Da ist beispielweise die lokale Holzwirtschaft. Das könne eine Branche der Zukunft sein und nach dem Kohleausstieg Arbeitsplätze schaffen. Das seien aber nur kleine Beispiele, der Wandel in der Region werde noch umfassender werden. „Ich möchte, dass Niesky an seinen Werten und seiner Tradition festhält, aber gleichzeitig auch neue Wege geht“, sagt sie.

Rechtsextremismus in Niesky

Weg von der Tradition, zurück zur grauen, oder wohl eher blau-braunen politischen Realität in Niesky. Ein Viertel der Sitze im Stadtrat wird von AfD-Politikern besetzt, die Grünen haben keinen einzigen. „Aus meiner Sicht spricht auch nichts dagegen, konstruktiv mit dem Kandidaten der AfD in einem Wahlforum über Sachthemen zu sprechen“, sagt Uhlemann. Sie wolle inhaltlich und professionell überzeugen, anstatt von vorneherein zu verurteilen. Dazu kann man sagen, dass die Brandmauer nach rechts wohl mehr als nur ein bisschen wackelt. Man kann aber auch denken, dass ohne eine gehörige Portion Pragmatismus ganz im Osten der Republik nichts mehr zu machen ist. Und Kathrin Uhlemann ist praktisch veranlagt. Über Vieles könne sie noch nicht urteilen – dafür sei sie noch zu neu in Niesky. „Ich rede erstmal mit allen Bürgern der Stadt“, sagt sie. Auch nicht vorschnell urteilen möchte sie zum Beispiel über das neue Clubhaus der „Schlesischen Jungs“ im Bahnhof von Niesky. Diese sind eine rechtsextreme Gruppierung, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird. „Durch den Umzug mit meiner Familie nach Niesky bringe ich auch Weltoffenheit mit“, sagt sie. Dass das allein im Kampf gegen Neonazis wohl nicht reichen wird, gibt sie allerdings auch zu.

150 Prozent im Beruf

Zwar war Kathrin Uhlemann bisher keine Berufspolitikerin, aber dass sie lange in einem Umfeld von Diplomatie gearbeitet hat, merkt man ihr an. Sie spricht überlegt, fokussiert und durchdacht. Gleichzeitig ist es aber – wie oft bei Politiker*innen – schwierig, wirklich nah an sie heran zu kommen und hinter die Fassade zu schauen. Auf die Frage, was ihr in ihrer Freizeit Kraft gibt, sagt sie: „Ich definiere mich sehr über meine Arbeit.“ Ihr sei es wichtig, im Beruf immer 150 Prozent zu geben.

Tine Jurtz Fotografie 2021 10 1223s

Viel Privates möchte sie also nicht preisgeben. Ein bisschen etwas erzählt sie dann doch. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder. Eine Tochter hat eine Behinderung, dies sei oft schon sehr einnehmend. Zur Entspannung in der Freizeit sei sie gerne draußen, etwa zum Skifahren oder wandern.

Damit sie auch in Zukunft stolz auf ihre Arbeit sein kann, gibt Kathrin Uhlemann nun im Wahlkampf alles. Sie hat Flyer und Plakate drucken lassen, führt unzählige Gespräche. Sie will auch jetzt schon etwas verändern – und arbeitet in Projektwerkstätten mit Bürger*innen an Ideen für die Stadt. „Selbst wenn ich nicht Bürgermeisterin werde, bleibt davon dann etwas“, sagt sie.

 

Lisa Kuner...

...ist freie Journalistin, sie schreibt für die FAZ über Bildung, für Perspective Daily über den Osten und würde am liebsten aus Brasilien von sozialer Ungleichheit erzählen. Außerdem studiert sie Nachhaltige Entwicklung in Leipzig. Einen Überblick über ihre bisherigen Veröffentlichungen gibt es hier: https://www.torial.com/lisa.kuner

Fotos...

... von Tine Jurtz: https://www.tinejurtz.de/

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