Frauen, traut euch!

Abgelaufen

Ich, Lotte, durfte im April 2023 einem vom LÖBAULEBT e.V. organisierten Netzwerkabend für Rückkehrerinnen beiwohnen. Ich möchte Euch von meinen Eindrücken berichten und habe auch die Intitiatorin Claudia Lang gefragt, was sie antreibt. Viel Spaß beim Lesen!

Zwei Tage ist es her, dass meine Eltern aus Löbau weggezogen sind. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so schnell wieder auf den Weg dorthin machen würde. 

Gemeinsam mit Julia Gabler bin ich beim LÖBAULEBT e.V. eingeladen. An diesem Abend wollen wir mit Frauen (und einem mutigen Mann!) aus Löbau, dem Landkreis, der Lausitz zusammenkommen und darüber sprechen, was Frauen, aber auch junge Menschen brauchen, um in der Lausitz zu bleiben beziehungsweise hierher zurückzukommen. 

Die Frage nach dem Verbleib in der Lausitz stellt sich auch mir immer wieder. Meine Eltern sind vor einigen Jahren bewusst in die Lausitz gezogen. Ich bin später eher durch Zufall hier gelandet – wegen des Studiums. Von Lausitz hatte ich vorher noch nie etwas gehört. Aber warum sind die anderen Frauen hier? 

Wir sitzen in einem gemütlich eingerichteten großen Raum im Kreis. In der Mitte stehen auf kleinen Tischen Getränke und Snacks. Die Atmosphäre lädt dazu ein, ins Gespräch zu kommen. Die Anwesenden beginnen, von sich zu erzählen. 

„Ich komme von hier.“ „Meine Familie lebt hier.“ „Meine Eltern haben einen Hof, den ich irgendwann übernehmen werde.“

Von hier kommen, die eigenen Wurzeln hier haben, geliebte Menschen, die hier wohnen, die Region als Teil der eigenen Geschichte. Die Erzählungen ähneln sich. Fast alle der Anwesenden sind hier aufgewachsen und haben somit einen starken Bezug zu der Region.

 
IMG-8130.jpg

Gesprächsabend. Foto: Claudia Lang

 Ich frage mich, ob das ausreicht, um hier zu bleiben. Was hält diese Menschen hier? Ich empfinde die Region manchmal als herausfordernd. Es gibt Schwierigkeiten – von denen berichten auch andere. Viele mach(t)en die Erfahrung, dass andere weggingen und sie zurückblieben. Immer wieder müssen Geschäfte schließen. Veränderungen werden teils nur schwer hingenommen, sei es im Hinblick auf Digitalisierung, Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrungen oder auch Frauen in Führungspositionen. „Das haben wir schon immer so gemacht“ ist mancherorts ein alltägliches Credo.

Obwohl, oder gerade, weil diese Erfahrungen in der Lausitz gemacht wurden und werden, erwecken sie eine Kraft in den Menschen hier. Die anwesenden Frauen sprühen förmlich vor Tatendrang, Visionen und Aktionismus – meist mit einem trotzigen Unterton. 

„Ich will mir nicht immer sagen lassen, dass das nicht geht. Ich will selbst die Erfahrung machen.“ „Wir müssen an uns selbst glauben und die Dinge in die Hand nehmen.“ „Und wenn ich fünf Mal gegen eine Wand renne. Irgendwann komme ich durch. Oder drüber.“

Die Frauen und ihre Erzählungen beeindrucken mich sehr. Für mich übernehmen die Frauen bewusst Vorbildfunktionen – für ihre Kinder, ihre Familien, die Menschen um sie herum. Sie wissen, welche bestehenden Rahmenbedingungen und Strukturen sich ändern müssen, um hier einen Ort zu schaffen, an den Menschen gerne (zurück)kommen. Sie haben gelernt, dass sie Dinge verändern können, sowohl in der Stadt als auch in den Köpfen der Menschen. Hier gibt es noch nicht alles – und das bietet großes Potenzial. 

Am Ende des Abends fühle ich mich überwältigt von den Gesprächen. Es rührt mich, diese Frauen sprechen zu hören und erfahren zu dürfen, wie sie ihren Alltag, die Stadt, die Region gestalten. Uns allen ist bewusst, dass es viele Herausforderungen gibt. Es braucht Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen und in den Köpfen der Menschen. Und diese Frauen, die an diesem Abend zusammengekommen sind, treten jeden Tag dafür ein. Sie packen an. Sie werden laut, wenn sie etwas stört. Sie trauen sich, eigene Erfahrungen zu machen. Sie sind Vorbilder. Sie probieren Dinge aus. Und am allerwichtigsten: Sie sind hier!

Der Abend hat mir gezeigt, dass diese Menschen da sind, und sie haben mir Hoffnung gegeben – für die Frauen, die Menschen, die Lausitz. 

Claudia Lang vom LÖBAULEBT e.V. hat den Abend initiiert. Mich interessiert, wie sie diesen Abend erlebt hat und vor allem, was sie daraus mitnimmt. Lassen wir sie selbst zu Wort kommen.

Haben wir die Kraft, die Dinge zu verändern?

Mit dieser Frage starteten wir in den Gesprächsabend mit Dr. Julia Gabler, Soziologin an der Fakultät Sozialwissenschaften, Studiengang Management Sozialen Wandels. Julia habe ich an einem sehr heißen Sommerabend im Dachgeschoss des Frauenzentrums in Bautzen kennengelernt. Ich habe an einem Mentoringprogramm für Frauen teilgenommen. Der Abend mit Julia hat mich sehr beeindruckt. Und weil ich mir die Mädchen und Frauen für unser Orte-der-Demokratie Projekt zum Themenschwerpunkt gesetzt habe, wusste ich sofort: einen solchen Abend, zum Reflektieren der eigenen Rolle im Sozialen Wandel, der Rolle im Strukturwandel, den Verbleibchancen und Perspektiven von Mädchen und jungen (qualifizierten) Frauen im Landkreis Görlitz, in der Oberlausitz, braucht es auch in Löbau. Also gab es diesen, zum Ende unseres Programms der „Bewegten Wochen“ bei LÖBAULEBT e.V..

Dass uns diese Themen als Gesamtgesellschaft beschäftigen sollten, konnte an diesem Abend leider nicht widergespiegelt werden. Großer Dank geht daher an den einzigen männlichen aktiven und aufmerksamen Zuhörer und Mitdiskutierenden, der sich der Thematik unserer – sich verändernden – Gesellschaftsstrukturen, insbesondere in unserem Landkreis, angenommen hat und sich nach dem Abend motiviert sieht, sich zu beteiligen. Denn die Entwicklung unserer Region geht uns alle etwas an und darf keinesfalls als „Frauenproblem“ deklariert werden, worin sich viele Menschen aus der Verantwortung, das eigene Denken und Handeln zu hinterfragen, herausstehlen.

Wir erleben einen überwiegend durch Männer gemachten Strukturwandel und stehen damit immensen Herausforderungen gegenüber. Wo sind die Frauen, die auch diese Herausforderungen vor Augen haben und sich bewusst sind, dass auch sie selbst von diesen tiefgreifenden Veränderungen betroffen sind? Zum Revierstammtisch „Frauen in der Lausitz“ haben die anwesenden Frauen dieses Bild des aktuellen Wandels bestätigt: Er ist zum größten Teil männergemacht. Und sie bekommen das Gefühl vermittelt, dass sie nicht Teil der Menschen seien, die ebenfalls mit den Konsequenzen des Strukturwandels, des sozialen Wandels und der Digitalisierung zu kämpfen hätten. Nun ja, was bleibt? 

Claudia Land Löbau lebt klein länglich

Claudia Lang. Foto: privat

Der Eindruck eines Generationenkonfliktes. Und der fehlenden Kenntnis der Lebensrealitäten der Menschen und Frauen vor Ort. Wie können diese auch erkannt und wahrgenommen werden? – Liegen doch oft Jahrzehnte zwischen Frauen, die in den entsprechenden Gremien Entscheidungen treffen und denen, die ihren Alltag mit den hier vorherrschenden Rahmenbedingungen bewältigen (müssen). Und deshalb braucht es dringend vielseitige Perspektiven auf die höchst unterschiedlichen Bedürfnisse in diesem gesellschaftlichen Wandel. An welcher Stelle werden also die artikulierten Bedarfe und Forderungen, die Frauen in der Region halten würden, berücksichtigt? Maßnahmen zu deren Umsetzung ergriffen? Oder wo finden die in Julias Studie herausgearbeiteten Instrumente, diesen so mannigfaltigen, tiefgreifenden, strukturellen, sozial und gesellschaftlich gravierend verändernden Konsequenzen zu begegnen, Berücksichtigung? 

Wir haben an diesem Abend angeregt diskutiert, uns viele persönliche Geschichten, Beweggründe für Abwanderungs- und Wiederkommens-Entscheidungen erzählt und hinter die Bedürfnisse dieser Entscheidungen geschaut. Ich persönlich empfand unsere Gesprächsrunde als inspirierend, motivierend, stärkend. Und vor allem mit dem Gefühl im Herzen: weitermachen! Zweifel, die mir in der Arbeit zu diesem herausfordernden Thema begegnen, abzulegen und im Rahmen meiner, mir durch den Verein gegebenen Möglichkeiten, optimistisch nach vorn zu schauen, mein Engagement breitflächig zu nutzen und vor allem auch weiterhin jene Akteure und Akteurinnen zu unterstützen, an deren Strang wir alle ziehen. Vielen Dank an Julia für ihre Prozessbegleitung in der Findung der Frage: Was brauchen wir? Was für eine antreibende, transformative Kraft insbesondere Frauen in sich tragen! Genau dieses starke Gefühl bleibt! 

Doch was können wir tun? 

Mit dieser Frage schließt sich auch der Kreis und die Intention unserer „Bewegten Wochen“. Denn zum Ins-Tun-kommen, Mitreden, Mitgestalten, Beteiligen haben die Programmwochen eingeladen. Hemmschwellen und Hürden abzubauen, in Gemeinschaft und ein Miteinander zu kommen. Kommunikation und Austausch zu befördern, Leben in den Ort zu bringen und nachzumachen, mitzumachen. Frauen, traut euch. Werdet aktiv, organisiert euch. Wir sind da! Besetzt die Gremien in denen „Entscheidungen gemacht werden“, denn ohne ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis wird es immer und immer wieder unberücksichtigt bleiben, was wir und die Region hier brauchen, um gut leben zu können; um uns nicht die Frage stellen zu müssen: Was hält mich hier eigentlich? Und bei der Frage packe ich mir selbst auch ständig an die Nase und reflektiere unentwegt: Bin ich dazu in der Lage, für die Belange vor Ort und der Region zu streiten, Kritik an den vorhandenen destruktiven Strukturen auf entsprechenden Ebenen zu artikulieren oder schaffen es unsere patriarchalen Prägungen weiterhin mich in meinem Potenzial zu hemmen? Fragt euch das! Woher kommt das Gefühl, das wir uns dazu nicht in der Lage sehen? Stichwort Empowerment. Steht in unserer Arbeit weiterhin ganz oben auf der To-Do-Liste!

Dabei blicke ich mit Wohlwollen auf unsere Region, die so einzigartig schön, vielfältig, familiär ist. Und was sie noch ausmacht: Die Oberlausitz produziert immer wieder interessante Felder und Möglichkeiten sich einzubringen. Es gibt so viele wunderbare Initiativen und Organisationen, die sich für eine vielfältige, lebens- und liebenswerte Oberlausitz stark machen. 

Unterstützt diese, schließt euch an und zusammen und b e w e g t was!

 

Danke Claudia! Diesen bewegenden und anregenden Worten habe ich nichts mehr hinzuzufügen.

 

Claudia Lang…

ist Diplom-Sozialarbeiterin/-pädagogin und Löbauerin. Nach 12 Jahren in der Landkreisverwaltung hat sie vergangenes Jahr angefangen, beim LÖBAULEBT e.V. zu arbeiten. Ihre Intention: einen Ort schaffen, den sie als Jugendliche selbst hätte gut gebrauchen können, Präventionsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen leisten und niedrigschwellig möglichst für alle erreichbar zu machen. 

Charlotte Pech…

… ist 2019 zum Studium nach Görlitz gekommen. Nach dem Bachelor in Kommunikationspsychologie studiert sie aktuell den Master Management des Sozialen Wandels an der Hochschule Zittau/Görlitz. 

Image
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Diese sind essenziell für den Betrieb dieser Seite. Sie können selbst entscheiden, ob Sie diese Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.