Das Land heilen

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Das Land heilen - eine Aufgabe für Generationen. Wie Naturverbindung ein Anfang sein kann.

Wenn man von Strukturwandel spricht, einem Begriff aus der Wirtshaft, spricht man meistens von Industrie, Wirtschaft, Plänen, Infrastruktur. Vor meinem inneren Auge tauchen auch sofort Bilder von Tagebaulandschaften, Baggern, Seen, Demonstranten, Arbeitslosenquoten und Bewohnern auf, denn selten meint man zeitgleich den Wandel, der mit den Menschen, die das Land bewohnen, einhergeht – also die Folgen, die sozialen Veränderungen, die Wohnsituation (und natürlich auch die Arbeitssituation).

Jede in die Landschaft eingebrachte Veränderung hat einen merklichen Einfluss auf die Menschen, die in dieser Landschaft wohnen. Diese Binsenweißheit können Alle nachvollziehen, die schon mal schwer schlucken mussten, als der Nachbar unvorhergesehen etwas gebaut oder gepflanzt hat, was eine Störung im täglichen Landschaftsbild mit sich brachte. Später setzt Gewöhnung ein, oder Resignation. Ein Teil der täglichen Landkarte hat sich unwiderruflich verändert. Diese unwiderrufliche Veränderung, eine Strukturanpassung, hat folglich auf die inneren Landkarten der Menschen Einfluss. Auf ihre inneren Orientierungspunkte, Gewohnheiten, Abhängigkeiten und Gestaltungsräume. Das, was äußerlich einmal verändert ist, verändert auch den Menschen nach innen.

Eine Region im Übergang

Dass in einer sich im Übergang befindlichen Region wie der (ehemaligen) Braunkohleregion Lausitz dies ein ständiges Thema ist, wundert kaum. Unser Reden und Agieren darüber und damit zeigt, dass wir in äußerlicher und innerlicher Anpassung sind. Wir haben unsere Landschaft auf Generationen nach uns für immer verändert. Die Lausitz ist nicht mehr die, die sie mal war, und wird für immer eine Neue sein. Dieser Prozess ist unumkehrbar. Er bedarf großer Anpassungsleistungen der Menschen, die hier leben und einer über Jahrzehnte gelebten Verantwortung für das, was wir den aktuellen und allen zukünftigen Generationen hinterlassen wollen und müssen.

Apelt Landschaft klein

Manchmal schaue ich auf die Wunden dieses Landes, auf die aufgerissene (oder versiegelte) Erde. Aber auch auf die neuen Seen, Schutzgebiete, Gründungen, Ideen, Erholungsmöglichkeiten. Auf die neuen Arten oder die, die für immer verschwunden sind. Manchmal sehe ich in der Lausitz ein Land, welches zutiefst verwundet worden ist. Dies könnte man politisch sehen, wirtschaftlich oder eben auch gesellschaftlich, denn ich persönlich glaube, dass der Wandel Alle in der Region verwandelt. Das kann zu Gunsten der Region, aber auch zu ihren Ungunsten ausfallen.  Denn: Zufriedenheit stellt sich erst mit einem positiven Wandlungsprozess ein. Und Wandel heißt zunächst erst einmal, dass etwas unwiderruflich endet, eh sich etwas Neues einstellt oder etablieren kann. Zufriedenheit braucht Weitsicht. Und Weitsicht braucht Angstfreiheit und Vertrauen, dass es gut ausgeht. Und das ist eine harte Übung für Menschen.

Wandel der Menschen

Deswegen ist für mich Strukturwandel auch innere Arbeit jedes Menschen in einer solchen Region. In meiner Arbeit als Prozessbegleiterin, Beraterin für Menschen in Lebenswandelsituationen, erlebe ich, wie Menschen Anpassungsschwierigkeiten haben, wenn die äußere Struktur sich verändert. Es fällt dann schwer, sich neu zu orientieren, das Gefühl von Beheimatung zu finden, sich neu einzupassen. Das Leben fühlt sich wie eine aufgerissene, verwundete Braunkohlelandschaft an, wenn plötzlich der Tod ins Leben tritt, Trennung oder Verlust der Arbeit oder der Ideale im Leben real werden. Beschäftigt sich ein Mensch nicht mit seinem persönlichen Wandel, kann die Verwundung nicht heilen. Eben auch wie in einer Braunkohlelandschaft für eine landschaftliche und wirtschaftliche Veränderung etwas getan werden muss. Auch individuell fragt sich der Mensch: Was will ich der nächsten Generationen hinterlassen? Wie will ich mich einbringen? Wie kann und will ich ein Teil der gestaltenden Gesellschaft sein?

In meiner Arbeit spielt der Kontakt mit der Natur eine entscheidende Rolle. Je tiefer die Begegnung mit der Natur einen Menschen berührt, umso stärker erlebe ich, wie ein Mensch sich auf seinen und ihren eigenen inneren Wandel einlassen kann. Diese Arbeit in einer Region mit sehr verletzter Erde offenbart ein Spiegelbild unserer Generation, die die Altlasten der Industrialisierung noch lange verwalten muss. Heilen und transformieren muss. Persönlich nach innen und strukturell nach außen.

Frauenkraft ist Heilkraft im Wandel

Frauen spielen - meiner Meinung nach - im Strukturwandel des Landes und der Menschen eine entscheidende Rolle. Es ist, als würde ihnen auf besondere Art der Wunsch nach Ganzheit, Zusammenhalt und Heilung der Wunden innewohnen. Selbstverständlich erlebe ich das auch bei Männern und diversen Menschen. Jedoch: etwas weiß die Frauenkraft, die weibliche Energie in den Menschen mehr darüber, wie es geht, wieder ganz zu werden. Wie kann die Frauenenergie wirken, dass sich Mensch und Landschaft wieder heilen lassen?

Ich bin überzeugt, dass es viele Wege dafür gibt. Für mich ist ein wichtiger Weg, mich als Teil des Systems zu verstehen, die Verbundenheit zu meinen Mitmenschen, und anderen Mitlebewesen zu erleben und zu spüren. Das sortiert mich neu ein - nimmt mir meine Bulldozermentalität und macht mich behutsamer. Mit Menschen und mit dem Land. In meinen Augen ist das eine Fähigkeit, die gerade die Lausitz dringend braucht. Für Mensch und Landschaft, damit sich die Struktur, das System, in dem wir leben, verändern kann. Auch darum bin ich nach 20 Jahren Steinkohleregion wieder zurück in meine Heimat, die Lausitz, gekommen. Zutiefst verbunden mit dem geschundenen Land, mit dem Wunsch, etwas zu dieser Transformation beitragen zu können. Mit Frauenkraft.

 Anne Maria klein

 Anne-Maria Apelt...

... ist Spreewälderin, Wendin, Rückkehrerin. Nach ihrem Abitur 2001 zog sie 20 Jahre durch den Westen, erlebte die Steinkohleregion Ruhrpott, kam 2020 mit Mann und Maus wieder zurück. Strukturwandel ist für sie eine Aufgabe von Herz und Hand, die im Einklang mit der Natur zu bewerkstelligen ist. Dafür bietet sie Menschen die Möglichkeit, sich wieder mit der Natur, der Erde, dem Land stärker zu verbinden. Denn sie glaubt: das ist der Anfang des Wandels.

Anne-Maria ist unter www.lebensentdeckungsreisen.de  zu finden.

Fotos: Roland Baege, Anne-Maria Apelt

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